: Gesetze nicht auf den Kopf stellen
„Sie wissen nicht, wovon Sie reden“: Offener Brief Hamburger Jugendrichter an Innensenator und CDU zwecks Fortbildung ■ Von Elke Spanner
Hamburgs JugendrichterInnen sind um Versachlichung bemüht. Neun der 18 BezirksjugendrichterInnen haben einen offenen Brief an Innensenator Olaf Scholz (SPD) und den CDU-“Sicherheitsexperten“ Roger Kusch unterschrieben, in dem sie diese beiden Juristen über die Anwendung des Jugendstrafrechtes informieren. Scholz und Kusch hatten in der vorigen Woche die angeblich zu lasche Bestrafung junger Krimineller kritisiert. „Uns hat erschreckt“, so die UnterzeichnerInnen, „wie wenig Sie von dem zu wissen scheinen, worüber Sie reden.“
Scholz hatte Zahlen veröffentlicht, nach denen die Hamburger Jugendrichterlnnen bei heranwachsenden Angeklagten im Alter zwischen 18 und 21 Jahren in 75 Prozent aller Fälle das mildere Jugendstrafrecht statt des Erwachsenengesetzes anwenden, während der Schnitt im Bundesgebiet bei 66 Prozent liege. „Es wäre schön“, hatte der Innensenator geäußert, „wenn Hamburg im statistischen Mittel läge.“ Daraufhin musste er sich schon von seiner Senatskollegain Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) belehren lassen. Die Justizsenatorin hatte Scholz daran erinnert. dass der Senat nicht seinen politischen Wünschen gemäß Anweisungen an RichterInnen erlassen könne.
Zur weiteren Fortbildung haben nun die UnterzeichnerInnen des offenen Briefes an Scholz Auszüge höchstrichterlicher Entscheidungen gesandt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte festgestellt. dass „bei einem Heranwachsenden die Anwendung von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme steht“. Und die Gefahr, dass ein Heranwachsender vor Gericht „zu Unrecht als Jugendlicher behandelt wird, ist kriminalpolitisch als weniger bedeutsam anzusehen als die umgekehrte Gefahr eines Missgriffs durch unzulängliche Berücksichtigung der erzieherischen Bedürfnisse“.
Wenn hiesige RichterInnen Heranwachsende nach Jugendstrafrecht beurteilen würden, dann nach diesen Grundsätzen. Die Behauptung, dass das in der Hansestadt häufiger geschehe als im übrigen Bundesgebiet, sei ohnehin sachlich falsch. Das treffe lediglich auf die leichteren Straßenverkehrsdelikte zu. Bei Gewalttaten wie Raub oder räuberischer Erpressung würde bei Heranwachsenden bundesweit in über 90 Prozent der Fälle Jugendrecht angewandt - so dass Hamburg da sehr wohl in der Mitte läge.
Der Brief ist auch an Roger Kusch adressiert. Der CDU-Hardliner hatte gesagt, die milden JugendrichterInnen würden das Gesetz auf den Kopf stellen. Kusch ist von Berufs wegen Oberstaatsanwalt. Und müsste die zitierten Urteile kennen. Weswegen er sich von den UnterzeichnerInnen die Frage stellen lassen muss, „wer hier das Gesetz auf den Kopf stellt.“
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