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Das Mann-küsst-Mann-Problem

In neueren US-Serien wird noch immer nach dem Traummann gefahndet – aber nicht mehr ausschließlich von Frauen. Bei „Will & Grace“, „Dawson’s Creek“ oder „Buffy“ haben homosexuelle Charaktere ganz selbstverständlich einen Platz im Ensemble

von HARALD KELLER

Manchmal werden selbst die ausgefuchstesten Trendspürnasen vom gemeinen Volk überlistet. 1998 fragte das US-Branchenblatt Entertainment Weekly: „Ist dies dasselbe Land, das angesichts einer Fernsehshow wie ‚Ellen‘ in massive Hysterie verfiel? Hat sich die ‚Moral Majority‘ nach Ecuador davongemacht? Wo bleibt die Kontroverse, die wir Journalisten so lieben?“

Die Verwunderung galt der gerade gestarteten Sitcom „Will & Grace“. Das vorwiegend heitere Seriengeschehen kreist um zwei befreundete Singles jenseits der 30, die, aus gescheiterten Partnerschaften kommend, zur Wohngemeinschaft zusammenfinden. Wobei nicht zu befürchten steht, dass das harmonische Miteinander durch hormonelle Schübe gefährdet werden könnte – der erfolgreiche Anwalt Will Truman lebt offen homosexuell. Diese prekäre Rollendefinition war es, die nicht nur die Fachpresse in Erstaunen versetzte. Man wusste, welchen Wirbel die Darstellung gleichgeschlechtlicher Sexualität hervorrufen konnte. Die für ihre Provokationen berüchtigte Komödiantin Roseanne Barr hatte 1994 einen Skandal entfacht, als sie sich in ihrer Serie „Roseanne“ aufs Innigste von Mariel Hemingway küssen ließ.

Noch erheblich mehr Wellen schlug 1997 das Coming-out der Titelfigur von „Ellen“. Zwei Jahre lang hatte sie vergeblich nach ihrem Traumprinzen gesucht, ehe sie sich, ihren Freunden und dem Publikum die Wahrheit über ihre sexuelle Orientierung eingestand. In der Doppelfolge „Das Outing“ vermischten sich Fiktion und Wirklichkeit, denn Hauptdarstellerin Ellen DeGeneres hatte zur gleichen Zeit ihre eigenes Coming-out.

Frau küßt Frau

Und die im Vorfeld geäußerten Bedenken schienen sich zunächst zu bestätigen: Die Quoten der bisher erfolgreichen Reihe stürzten ab, im Mai 1998 wurde die letzte Folge ausgestrahlt. Bei der jüngsten Wiederholung wurden zwei heikle Folgen zunächst ausgespart, darunter eine, in der Ellen eine Frau küsst. Ein Klima geballter Prüderie und Intoleranz, will es scheinen, zumal angesichts großer Propagandafeldzüge rechts abdrehender Fundamentalisten, die per Anzeige Slogans wie „Schwule können geheilt werden“ verbreiten.

Dass diese Fanatiker immer wieder am TV-Programm Anstoß nehmen, kann andererseits auch als gutes Zeichen gewertet werden: Im September 1998 zählte das schwul-lesbische Nachrichtenmagazin The Advocate immerhin 26 Serienfiguren mit gleichgeschlechtlicher Orientierung. Inzwischen dürfte sich das Ergebnis noch verbessert haben:

In Serien wie „Nash Bridges“, „Friends“ oder „Chaos City“ haben homosexuelle Charaktere ganz selbstverständlich einen Platz im Ensemble.

Und in der Jugendserie „Dawson’s Creek“ (hierzulande samstags auf Pro 7) wurde das Coming-out eines Teenagers als das gezeigt, was es in einer US-amerikanischen Kleinstadt mit ihrer Vorliebe für althergebrachte Männlichkeitsrituale wohl tatsächlich ist: als schmerzhafter Prozess. Beiläufiger ereignete sich die geschlechtliche Neuorientierung der Figur Willow in der Jugendserie „Buffy – Im Bann der Dämonen“ (ebenfalls Pro 7), wobei gängige Ressentiments unaufdringlich aufgegriffen und entkräftet wurden. Allerdings verdankte sich diese Behutsamkeit zum Teil gewissen Auflagen des Senders. Zwischen der Studentin Willow und ihrer Freundin Tara bleibt es vorerst beim Händchenhalten, Küsse sind untersagt. Jedoch dürften die Fans von Buffys antidämonischer Sondereinheit über den Fortgang des Geschehens nicht lange grübeln, wenn Willow und Tara am Ende der Episode „New Moon Rising“ innige Blicke tauschen, bevor sie die Kerze löschen und alles Weitere der Ausdeutung der Betrachter überlassen bleibt.

„Buffy“ und „Dawson’s Creek“ gehörten im Januar 2001 neben „Felicity“, „The West Wing“ und „Will & Grace“ zu den Anwärtern auf den GLAAD Media Award, der vom gleichnamigen schwul-lesbischen Aktionsbündnis alljährlich für „faire, wahrheitsgemäße und umfassende Darstellungen der lesbischen, schwulen und transsexuellen Gemeinschaft“ verliehen wird.

Mit der Paarung schwuler Mann/heterosexuelle Frau griffen die Produzenten von „Will & Grace“ auf ein Modell zurück, das sich in Kinofilmen von „Cabaret“ bis „Die Hochzeit meines besten Freundes“ bewährt hat. Die Kombination scheint besonders geeignet, das von den Werbetreibenden begehrte weibliche Publikum an die Fernbedienungen zu rufen, wird doch die grundsätzliche Schlechtigkeit der Spezies Mann von beiden Seiten mit Sarkasmen bedacht. „Sehen wir der Sache ins Auge“, sagt Max Mutchnick (schwul), mit David Kohan (nicht schwul) Produzent der Serie, der eine Fülle eigener Erfahrungen in die Geschichten eingebracht hat, „die meisten Kerle sind Arschlöcher.“

Der schwule Autor Armistead Maupin erprobte das besagte Muster bereits 1978 in seinen inzwischen auch als TV-Serie umgesetzten „Stadtgeschichten“. „Es ist attraktiv“, kommentierte er 20 Jahre später in Entertainment Weekly, „weil es eine Art Ersatz-Heterobeziehung erlaubt. Außerdem gibt es den Sendern die Gewissheit, dass sie sich nicht allzu sehr mit dem unappetitlichen Mann-küsst-Mann-Problem abgeben müssen.“

Schwule Community

Gerade diese Frage führte letztlich doch zu Debatten, ausgelöst nicht von hauptamtlichen Sittenwächtern, sondern innerhalb der schwulen Gemeinde. Einer Fraktion erschien Will Truman (Eric McCormack) zu brav, weil ihm kein Sexualleben zugebilligt wurde. Allerdings gibt es bei „Will & Grace“ noch den ungleich kesser in Erscheinung tretenden Nachbarn Jack (Sean Hayes), an dem sich Graces (Debra Messing) eigenwillige Assistentin Karen (Megan Mullally) regelmäßig die Zähne ausbeißt.

Wie sich zeigte, verfolgten die Autoren und Regisseur James Burrows mit der anfänglichen Zurückhaltung eine bestimmte Strategie. „Mein Ziel war es“, so Burrows in einem Interview, „Amerika dazu zu bringen, dass es diese Leute dafür mag, was sie sind, nicht wegen ihrer Sexualität. Die Serie handelt hauptsächlich von einer Gruppe liebenswerter Menschen – und der Umstand, dass vier von vieren am liebsten Männer küssen, macht überhaupt keinen Unterschied.“

Das Konzept ging auf – „Will & Grace“ zählt mittlerweile zu den erfolgreichsten Serien und wurde mehrfach preisgekrönt. Und peu à peu begannen die Autoren, die selbst auferlegten Grenzen auszuweiten. Produzent Kohan hat keine Zweifel, dass sich die Zuschauer inzwischen so sehr mit Will Truman identifizieren können, „dass seine sexuelle Ausrichtung zweitrangig geworden ist gegenüber dem Wunsch, dass er emotionale Erfüllung erfährt.“ Wills (heterosexueller) Darsteller Eric McCormack pflichtet bei: „Ich hoffe, dass Großmütter in Kansas sagen: Ich wünschte, Will fände einen netten Kerl.“ Ob das geschieht, wird sich erweisen.

Pro 7 zeigt momentan die Folgen der ersten Staffel von „Will & Grace“, immer samstags um 14.30 Uhr.

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