: Massaker unter Tieren
Fremde Arten richten in Ökosystemen große Schäden an. Umweltbundesamt: Probleme werden noch zunehmen
von CONSTANTIN VOGT
In Köln brüten drei Papageienarten und auf Pazifik-Inseln richten fremde Ameisen wahre Massaker an. Die Natur gerät aus den Fugen, weil Tiere auf Reisen gehen – im Schlepptau des Menschen. Die Folgen: Fremde Arten breiten sich unkontrolliert aus und drängen einheimische Pflanzen und Tiere zurück. Oder rotten sie ganz aus. Diese Invasion ist schon seit der Entdeckung Amerikas wichtigster Grund für das Aussterben von Wirbeltieren. Vor allem Vögel in den Tropen hat es dahingerafft. Doch auch in Europa bereiten Japanischer Knöterich oder Wollhandkrabben aus China Schwierigkeiten.
In Deutschland wird das Problem mittlerweile immerhin so ernst genommen, dass Experten des Umweltbundesamt (UBA) eine eigene Studie erstellt haben. Bisher gab es nur Sammlungen von einzelnen Beispielen. In den nächsten Tagen veröffentlicht das UBA die erste Bestandsaufnahme und Bewertung fremder Tierarten in Deutschland. Das Fazit: Die Probleme mit fremden Arten werden noch wachsen.
Um die Wanderung von Flora und Fauna und ihre Folgen in den Griff zu bekommen, wurde schon eine Reihe internationaler Konventionen verabschiedet. Die Wichtigste war die „Convention on Biological Diversity“ von Rio de Janeiro aus dem Jahr 1992. Passiert ist wenig, wohl auch, weil sich die Ausbreitung fremder Arten kaum verhindern lässt, in einer Zeit, in der Verkehrswege und Handelsplätze derart vernetzt sind. Muscheln klammern sich an Schiffsrümpfe, Ameisen verstecken sich in Containern und Pflanzensamen reisen unter Lkw-Planen.
Nun hat das UBA unter anderem den Fall des Mink, des amerikanischen Nerzes, erforscht. Er macht seinem europäischen Artgenossen Konkurrenz. „Schuld sind paradoxerweise Tierschützer“, sagt Volker Holms, Artenschutzexperte der Naturschutzstiftung World Wide Fund for Nature (WWF). Die Tierfreunde haben amerikanischen Nerzen die europäische Freiheit geschenkt, als sie die Tiere aus Nerzfarmen befreiten. Jetzt ist der Mink dabei, seinen europäischen Artgenossen zu verdrängen. Und das, obwohl der Lebensraum der Tiere ohnehin knapp ist. „Es kommen verschiedene schlechte Faktoren zusammen“, sagt Holms. Gegenstrategien gibt es nicht.
Beispiel Nerze: der Super-GAU
Die Geschichte der Nerze ist beispielhaft: Der Mensch hat den Lebensraum dezimiert, dann schleppt er noch eine fremde Art ein. Für lokale Ökosysteme ist das der Super-GAU. Auch in Deutschland, wie die neue Studie belegt: „Alleine in Deutschland leben über 1.100 fremde Tierarten“, sagt Ulrike Doyle vom UBA. Davon seien aber nicht alle eine Bedrohung für einheimische Tiere oder Pflanzen. Etwa 250 fremde Arten haben sich etabliert, das heißt, sie vermehren sich selbstständig. Verglichen etwa mit Australien, wo Giftkröten aus Venezuela den Kakadu-Nationalpark bedrohen (siehe unterer Text), sind die Schwierigkeiten in Europa vergleichsweise gering. Europa sei da ein Sonderfall, sagt der Wissenschaftsautor und Biologe Bernhard Kegel. Denn immerhin wurden 12.000 fremde Pflanzenarten auf den Kontinent gebracht. Harmlos sind die Fremdlinge aber keinesfalls. „Es gibt eine Reihe von ernsten Problemen mit bestimmten fremden Arten“, bestätigt Doyle.
Dramatisch ist die Lage im Harz: Japanischer Riesenknöterich überwuchert ganze Flusstäler. „Am schlimmsten ist es im Tal der Wieda“, sagt der Waldökologe Johannes Thiery. Alleine dort sei eine Fläche von etwa 200.000 Quadratmetern zugewachsen. Sämtliche Versuche, das japanische „Monstergewächs“ durch ständiges Abholzen zurückzudrängen, sind gescheitert. Vor 60 Jahren hatte ein Gartenbesitzer aus dem Dorf Wieda den Knöterich als Zierpflanze entdeckt. Seit 30 Jahren verbreitet sich die „grüne Pest“, wie Ökologe Thiery es nennt, unaufhaltsam.
Ähnliche Probleme bereitet laut UBA die Rubinie in Berlin. Der Baum aus Nordamerika besiedelt brachliegende Flächen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Rubinie ideale Lebensbedingungen in der zerstörten Stadt. Zuletzt hat der Senat auf drei Jahre verteilt 60.000 Mark zur Bekämpfung der Rubinien ausgegeben.
Fremde Arten sorgen nicht nur im Ökosystem für Ärger. „Die wirtschaftlichen Folgen sind nicht zu unterschätzen“, sagt UBA-Expertin Doyle. Zahlen für ganz Deutschland gibt es nicht. Welche Kosten die Einwanderer verursachen, möchte das Amt jetzt herausfinden. Noch in diesem Jahr soll eine weitere Studie beginnen. Klar ist jetzt schon: es wird nicht wenig. Die USA beispielsweise schätzen die jährlichen Kosten auf bis zu 5,4 Milliarden Dollar.
Muschel stoppt Wasserversorgung
Eine teure Einwandererin ist etwa die Dreikantmuschel. Die Muschel macht Binnenschiffern das Leben schwer und hat zeitweise in Berlin und Hamburg die Wasserversorgung lahmgelegt. Sie heftet sich an Schiffsrümpfe und verstopft Rohrleitungen. Auch Abwasseranlagen von Kraftwerken befällt sie. Aufwand und Kosten für die Reinigung sind hoch – die Muschel ist zäh. In vielen Fällen helfen nur Chemikalien und Elektroschocks – oder die Muscheln müssen abgespachtelt werden. Im Bodensee hat die Dreikantmuschel das Ökosystem durcheinander gebracht: Heimische Artgenossen hat sie verdrängt, und die ansonsten vegetarische Kolbente zum Fleischfresser gemacht. Die Ente hat die Dreikantmuschel als neue Nahrungsquelle entdeckt. Ebenso wie viele Wasservögel und Fische, die die Muschel-Population begrenzen. Dass die Natur das Problem selber in den Griff bekommt, ist jedoch die Ausnahme.
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