: Am liebsten nur kleine Paganinis
Hamburg fehlt MusiklehrInnen-Nachwuchs. Er scheitert an der Hochschule ■ Von Heike Dierbach
Der Raum für das Fachseminar „Musik, LGM“ bleibt in diesem Schuljahr leer. Kein einziger Referendar, der Musiklehrer in der Grund- und Mittelstufe werden will, hat am 1. August seine praktische Ausbildung angefangen. Das heißt: In zwei Jahren wird auch keiner fertig, den Hamburg einstellen könnte. Die Stadt braucht aber bis 2005 rund 100 neue MusiklehrerInnen in dieser Stufe. In den Gesamtschulen und Gymnasien sieht es nicht viel besser aus. Hat kein A-biturient mehr Lust, einmal Kindern Johann Sebastian Bach oder das Blockflötenspiel zu vermitteln? Doch, aber viele scheitern am hohen künstlerischen Anspruch der Musikhochschule. Die will deshalb nun ihre Aufnahmeprüfung ändern und pädagogische Fähigkeiten stärker gewichten.
Denn bisher muss, wer Schulmusik studieren will, vor allem musikalisch fit, sehr fit, sein. „Die Anforderungen der Aufnahmeprüfung liegen oft kaum unter denen der Abschlussprüfung“, kritisiert Hans Jünger, Dozent für Musikpädagogik am Fachbereich Erziehungswissenschaft. Die Folge: Vor allem im Bereich Grund- und Mittelstufe bleiben regelmäßig Studienplätze unbesetzt, weil die BewerberInnen den künstlerischen ProfessorInnen nicht gut genug sind. In diesem Wintersemester sind trotz doppelt so vieler BewerberInnen von 12 Plätzen nur zehn besetzt, die übrigen werden für das Oberstufenlehramt umgewidmet.
Doch auch nach bestandener Prüfung haben die LehramtsstudentInnen zuweilen das Gefühl, MusikerInnen zweiter Klasse zu sein. So weigern sich mehrere Instrumental- und Gesangsprofessoren der Hochschule seit Jahren, SchulmusikstudentInnen zu unterrichten – obwohl sie dazu verpflichtet sind und dafür bezahlt werden. Die Hochschule muss extra DozentInnen per Lehrauftrag anheuern. „Dabei sind es doch die Musiklehrer, die dafür sorgen, dass Spitzenmusiker auch morgen noch ein Publikum finden“, sagt Wolfgang Hochstein, Leiter der Abteilung Schulmusik an der Hochschule. Die Schulbehörde ist nach Aussage von Norbert Rosenboom, Leiter des Personalreferates, gegenüber der Arbeitsverweigerung machtlos: „Das fällt unter Freiheit der Wissenschaft.“
Das alles führt unter anderem dazu, dass von den wenigen SchulmusikstudentInnen, die anfangen, nur rund die Hälfte später tatsächlich LehrerIn wird: „Viele fühlen sich zuerst als Musiker“, sagt Jünger. Wer acht Semester klassische Geige studiert hat, will dann eben doch nicht nur mit ErstklässlerInnen „Bunt sind schon die Wälder“ singen. In diesem Sommer etwa blieben für die Grund- und Mittelstufe ganze sechs fertige MusiklehrerInnen übrig, im Februar und im vorigen August waren es gar nur je zwei, die Hamburg einstellen konnte. Die Folge: Der Musikunterricht muss von fachfremden LehrerInnen übernommen werden. Der Verband Deutscher Schulmusiker schätzt, dass bundesweit an den Grundschulen nur noch jede fünfte Musikstunde von einem Musiker erteilt wird. Oder der Unterricht fällt einfach aus. Konkrete Zahlen für Hamburg gibt es nicht.
Die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, wollen die Musikpädagogen nun auch in der Musikhochschule durchsetzen. Im Sommersemester erarbeitete der Fachbereichsrat Schulmusik eine Änderung der Aufnahmeprüfung. Künftig sollen die BewerberInnen auch eine Gruppe praktisch zum Musizieren, Singen oder Tanzen anleiten. Ein gutes Ergebnis in dieser Teilprüfung soll ein schlechtes im Instrumentalteil aufwiegen können – nicht aber umgekehrt. Wenn die künstlerischen Fachbereiche dieser Änderung zustimmen, hätten schon bei der nächsten Aufnahmeprüfung im Februar 2002 pädagogische Talente bessere Chancen. Auch sollen mehr Instrumente als Hauptfach zugelassen werden, so etwa Akkordeon oder E-Gitarre.
Ewig kann sich die Hochschule mit der Änderung nicht Zeit lassen – schon fordern erste Stimmen, ihr die LehrerInnenausbildung wegzunehmen. Und die Behörde bringt Ende des Jahres ein Faltblatt heraus, mit dem sie SeiteneinsteigerInnen für den Schuldienst werben will.
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