: Athen droht Goethe
Gericht macht Druck auf Berlin: Um griechische NS-Opfer zu entschädigen, erlaubt es Versteigerung des Goethe-Instituts
BERLIN taz ■ Ein Landgericht in Athen hat gestern den Weg für die Zwangsversteigerung des Goethe-Instituts in Athen faktisch freigegeben. Die Immobilie des deutschen Staates wird vom Rechtsvertreter der Bewohner der Ortschaft Distomo beansprucht, die 1999 vor dem höchsten griechischen Gericht ein Urteil erreichten, das die Bundesrepublik zur Zahlung von rund 55 Millionen Mark verpflichtet. Dieses Geld soll den Nachkommen von Einwohnern Distomos zukommen, die im Juli 1944 einem Massaker zum Opfer fielen, bei dem Soldaten der Waffen-SS über 200 Zivilisten ermordeten.
Die Bundesregierung akzeptertiert das Areopag-Urteil nicht als rechtsverbindlich. Sie geht vom Prinzip der „Staatenimmunität“ aus, das Staaten gegen zivilrechtliche Ansprüche aus dem Ausland schützen soll. Zu diesem Punkt wird am 29. September ein weiteres Areopag-Urteil ergehen, das die Durchsetzbarkeit der Reparationsansprüche blockieren könnte.
Nach der gestrigen Entscheidung könnte das Versteigerungsverfahren der Goethe-Immobilie bereits am 19. September eröffnet werden. Vor einem anderen Athener Gericht ist noch eine weitere Klage der deutschen Seite anhängig. Sie soll klären, ob der griechische Justizminister dem Verfahren zustimmen muss, wie es das griechische Zivilrecht vorschreibt. Dass diese Klage noch vor dem 19. September entschieden wird, gilt als unwahrscheinlich. Würde diese Frage gerichtlich bejaht, könnte Justizminister Stathiopoulos die Veräußerung des Goethe-Instituts blockieren. Er hat auch zu erkennen gegeben, dass er dies tun würde, da die griechische Regierung den Konflikt mit Berlin nicht als Kampf um eine Immobilie mit kulturpolitischer Bedeutung austragen will. Auch im Hinblick darauf, dass Griechenland auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober als „Gastland“ gewürdigt wird, ist Athen an einem deutsch-griechischen Kulturkampf nicht gelegen.
Dass das Goethe-Institut tatsächlich versteigert wird, ist unwahrscheinlich: Für eine rechtlich so umstrittene Immobilie wird es kaum einen Interessenten geben. Die Athener Gerichtsentscheidung hat jedoch hohen Symbolwert. Und sie erhöht den Druck auf beide Seiten, die Frage der Entschädigung für deutsche Kriegsverbrechen endlich auf politischer Ebene zu verhandeln.
NIELS KADRITZKE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen