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Der kleine Schulanfang

Früher ging beides, heute müssen Eltern zwischen Vorschule und Kita wählen  ■ Von Kaija Kutter

Gestern war für Hamburgs Schulanfänger der große Tag. Heute nun nehmen die knapp 6000 Vorschüler ihre kleinen Schultüten in Empfang. In vielen Fällen mussten Eltern eine schwierige Entscheidung treffen. Was ist richtig: Vorschulklasse (VKS) oder Kita?

„Ich arbeite und hatte bei meiner Tochter Theresa keine Wahl“, erinnert Ines Blum aus Harburg. Denn vier Stunden Vorschule am Vormittag reichen für Berufstätigkeit nicht aus. Mit schlechtem Gewissen habe sie ihr Kind vor zwei Jahren in der Kita Bissingstraße gelassen. „Theresa wollte lernen, die war ganz klar unterfordert, das haben auch die Erzieher bestätigt“, erinnert sie sich. Auch die zwei Jahre jüngere Tochter Lina wird nun in der Kita bleiben. Denn anders als noch bis 1998 erlaubt, ist die „Doppelnutzung“ von Kita und VKS verboten. Doch „gezielte Vorschularbeit“ fürchtet Blum, wird in der Kita nicht geboten. „Meine Tochter war mit 43 Kindern in einer altersgemischten Gruppe. Da hatten die dafür keine Zeit.“

„Eltern sind in der Bredouille, sich für oder gegen Bildung entscheiden zu müssen“, sagt auch der Vater Harald Wittig-Schröder. Weiler dem „Wissensdurst“ seiner Tochter Mishale (5) nachgeben wollte, meldete er sie in der VKS an. Die, so ist Wittig-Schröder nach Gesprächen mit Vorschullehrern überzeugt, bereite die Kinder „definitiv“ auf die Schule vor: „Sie lernen dort Konzentration und längere Zeit still sitzen.“ Auch künftige Mitschüler, Schulweg und selbst der Pausenhof würden den Kids schon vertraut, so dass der Übergang zur Schule „nicht so hart“ wird.

Früher, so erinnert sich der Erzieher, war dies auch für Kita-Kinder möglich. Sie gingen am Vormittag für wenige Stunden in die VKS einer benachbarten Schule und wurden dann von den ErzieherInnen abgeholt. „Ich würde mir wünschen, dass es diese Verzahnung zwischen Kita und Schule wieder gibt.“

„Für einige Kinder, die Zuhause gefördert werden und eine gute Kita haben, ist das Doppelnut-zungsverbot vielleicht nicht so schlimm“, sagt Matthias Taube von der Partei Familien Power. Es könne nicht sein, dass man Eltern die Wahl nehme und viele Kinder von einem „ehemals gut funktionierendem Bildungsangebot“ ausschließe. Die Zahl der VKS sei von 290 im Jahr 1998 „rasant zurückgegangen. Allein in Steilshoop mussten sechs Klassen schließen“. In diesem Jahr gab es mit einem Anstieg von 247 auf 261 VKS eine Trendwende. Ines Blum weiss von „etlichen Müttern, die auf ihre Arbeit verzichten“, um ihren Kindern die Vorschule zu ermöglichen.

Ob dies wirklich der bessere Schuleinstieg ist, ist umstritten. „Vorschule ist ein Relikt der Reformen der 70er Jahre, dass es nur in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin gibt“, berichtet Hedi Colberg-Schrader, die pädagogische Leiterin der Vereinigung der Kindertagesheime. In Norwegen und Schweden, so Colberg-Schrader, gebe es den umgekehrten Trend: die Grundschulen mit Elementen der Kindergartenpädagogik zu versehen. „Dem Kind zuliebe“, so sagt sie, gebe es keinen Grund, zur VKS zu wechseln. Die Kita fördere die Kinder auch, zudem blieben die Freundschaftsnetze bestehen.

„Grundsätzlich ist alles, was wir machen, Vorschulerziehung“, sagt auch Barbara Mitksche, die die oben erwähnte Kita Bissingstraße leitet. „Nur wird dies von den Eltern nicht akzeptiert. Die hätten es gern so, wie es die Schule anbietet.“ Doch das früher übliche Ausmalen von „Vorschulmappen“ sei aus pädagogischen Gründen durch „zu Bildungseinheiten zusammengefasste Projekte“ ersetzt worden.

Egal ob Stadtteilerkundung, Kochen, Pflanzenpflege oder Schleifen binden, „die Kinder lernen hier alles, was zum Leben gehört“, sagt Mitksche. Damit die Eltern dies besser verstehen, würde dies künftig auf Plakaten dokumentiert. Mitksche: „Aber dafür hatten wir bisher kaum Zeit.“ Denn während Lehrer nur 27 Stunden unterrichten und Zeit für Elterngespräche und Vorbereitung haben, arbeiten Erzieher „38,5 Stunden non stop am Kind“.

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