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Lieber nicht zu weit vorausschauen

Grüne Verteidigungspolitikerin denkt weiter, als es den Fraktionskollegen lieb ist: Nato soll noch mindestens ein Jahr in Mazedonien bleiben

„Das Beharren auf einem 30-Tage-Einsatz setzt beide Seiten unter Druck.“

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Er schätze sie ja sehr, „meine Freundin Angelika“, sagt der grüne Außenpolitiker Helmut Lippelt. Aber da sei sie wohl über das Ziel hinausgeschossen. Angelika Beer, die verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, befindet sich zu diesem Zeitpunkt gerade auf dem Rückflug aus Mazedonien, das sie zusammen mit Außenminister Joschka Fischer zwei Tage lang besucht hat. Von Skopje aus hat sie mit einem Interview das heikelste Thema der Nato-Mission angesprochen: Was kommt nach den 30 Tagen?

So einfach die Frage ist, so ungern wird sie derzeit in den Hauptstädten der Nato-Staaten beantwortet. Jedoch beginnen sich Politiker in den USA, aber auch in der Bundesrepublik den Kopf zu zerbrechen, was aus dem westlichen Engagement in Mazedonien wird, wenn erst einmal das 30-Tage-Mandat der Nato abgelaufen ist.

Die Grünen-Politikerin fordert nun, der UNO-Sicherheitsrat solle die Nato mit einem neuen Mandat für mindestens ein Jahr ausstatten. „Wenn die Nato nach 30 Tagen einfach abzieht, ist das Risiko immens groß, dass ein Vakuum entsteht, in dem es in Mazedonien zu neuen Kämpfen kommt“, sagte Beer der Neuen Osnabrücker Zeitung. Deshalb müsse sich die neue Mission unmittelbar an den derzeitigen Einsatz anschließen. So offen und öffentlich hat das noch niemand in der rot-grünen Regierungskoalition verlangt.

In ihrer eigenen Fraktion stößt Beer damit nicht nur bei Gegnern der Mazedonien-Mission wie Hans-Christian Ströbele und Annelie Buntenbach auf Widerspruch. Der Europapolitiker Christian Sterzing sagte der taz, das sei der „falsche Vorschlag zur falschen Zeit“. Der außenpolitische Fraktionssprecher Helmut Lippelte schimpfte: „Die Äußerung war völlig überflüssig.“ Beide gelten wie Beer als Pragmatiker, die eigentlich oft Seite an Seite mit ihr fechten.

In der Fraktion mag Beer mit ihrer Furcht vor einem „Vakuum“ allein dastehen. In der Nato gibt es dagegen dieselbe Sorge. „Jeder weiß, dass nach Ablauf der 30 Tage ein Vakuum dort gefüllt werden muss, damit die ganze Sache nicht wieder explodiert“, erläuterte zu Beginn der Woche ein Nato-Sprecher in Brüssel.

Auch die mazedonische Außenministerin Ilinka Mitreva sagte gestern: „Die mazedonische Staatsführung macht sich ernsthafte Gedanken, was in der Phase danach geschehen soll.“ Für den US-Sondergesandten in Mazedonien, James Pardew, steht fest: „In der Nach-Nato-Periode brauchen wir eine beträchtliche Anzahl internationaler ziviler Beobachter.“ Am Montag traf Pardew sich bereits in Wien mit Vertretern der OSZE, die gemeinsam mit EU-Personal die Einhaltung der Friedenslösung überwachen könnten. Bleibt die Frage, wer den Schutz der Beobachter übernimmt. Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon erwog dafür bereits öffentlich eine internationale Militärpräsenz. Dazu passt wiederum eine Beer-Forderung: Die Nato müse die Beobachtermissionen von EU und OSZE beschützen.

Die Einwände von Lippelt und Sterzing sind weniger grundsätzlicher als psychologischer Natur. „Das Beharren auf 30 Tagen setzt beide Seiten unter Druck“, sagt Lippelt mit Blick auf die Konfliktparteien in Mazedonien. Die Aussicht auf ein neues Mandat würde „die falsche Dynamik auslösen“. Auch Sterzing ist überzeugt: „Wir sollten die beiden Seiten nicht aus der Verantwortung entlassen, indem sie auf eine internationale Intervention hoffen können.“ Beers Vorschlag untergrabe „die Selbstverantwortung der Konfliktparteien“.

Die Hoffnung der Albaner auf weiteren Schutz durch die Nato ist auch in Brüssel bekannt. „Wenn die Nato bleibt, bin ich optimistisch“, ließ der politische Führer der albanischen Minderheit, Arben Xhaferi, erst jüngst wieder verlauten, „aber wenn die Nato abzieht, bin ich pessimistisch.“ Im Fall eines neuen Nato-Mandats, so fürchten die Gegner, könnte Mazedonien das gleiche Schicksal ereilen wie Bosnien und Kosovo. „Das ist dann das dritte Protektorat“, fürchtet Lippelt. Auch Angelika Beer sieht die Gefahr und warnt daher davor, der Nato die Sicherung der mazedonischen Grenzen zu übertragen: „Dies käme der Errichtung eines Protektorats gleich.“

Mag Beer auch auf Widerstand in den eigenen Reihen stoßen, so macht ihr Vorschlag doch deutlich, in welche Richtung sich das Denken in der Nato derzeit entwickelt. Einen prominenten, wenn auch vorsichtigen Unterstützer scheint sie schon gefunden zu haben: Joschka Fischer ließ vor seinem Rückflug aus Skopje erstmals öffentlich auf Gedankenspiele über ein weiteres Militärengagement in Mazedonien ein. Bedingung dafür sei aber ein erfolgreicher Beginn des Friedensprozesses in Mazedonien.

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