: Solidarität im sozialen Brennpunkt
Letzten Samstag stand der Sozialpalast in Flammen. Mitte der 90er-Jahre noch ein anonymes Hochhaus für Fixer in verdreckten Hausfluren, in denen häufig gezündelt wurde, ist der Wohnkomplex verglichen mit damals heute kaum wieder zuerkennen
von PLUTONIA PLARRE
Nach Jahren der Ruhe hat der „Schöneberger Sozialpalast“ – neuerdings besser bekannt als das „Pallasseum“ – am vergangenen Wochenende wieder Schlagzeilen gemacht: „Feuer-Inferno im Sozialpalast“ titelte die Boulevardpresse.
In dem zehnstöckigen Hochhaus und den drei Flachbauten des an der Pallas- Ecke Potsdamer Straße gelegenen Gebäudekomplexes wohnen rund 1.600 Menschen aus 25 Nationen. 40 Prozent leben von Sozialhilfe. Nach dem Feuer geht nicht nur unter den Bewohnern die Sorge um, dass die Schlagzeilen das alte Negativimage der Wohnanlage wieder beleben könnten. „Mit den alten Zuständen hat der Brand nichts zu tun“, beeilt sich Klaus-Peter Fritsch, Geschäftsführer der Eigentümergemeinschaft „Wohnen am Kleistpark“ zu versichern. „Dass es brennt, kann überall passieren.“
Das Feuer war am Sonntagmorgen gegen zwei Uhr in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock des Hochhauses ausgebrochen. Die Wohnung brannte komplett aus, der Mieter, ein 55- jähriger Sozialhilfeempfänger, und seine Freundin wurden mit Brandverletzungen in eine Unfallklinik eingeliefert. 14 weitere Personen kamen mit einer Rauchvergiftung ins Krankenhaus. Gegen den Mieter der Wohnung wird jetzt wegen Verdachts der fahrlässigen Brandstiftung ermittelt. Die Polizei schließt nicht aus, dass das Feuer durch eine brennende Zigarette ausgelöst wurde.
Die Befürchtung, dass der Brand mit früheren Zeiten assoziert wird, kommt nicht von ungefähr. Der Sozialpalast hatte sich Mitte der 90er-Jahre zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt. In den Treppenaufgängen lagen Fixer und Betrunkene, die Hausflure waren verdreckt und verschmiert, in den Müllschächten wurde häufig gezündelt. Durch bauliche Mängel, Vandalismus, Verwahrlosung und Kriminalität war das Gebäude zu guter Letzt so in Verruf geraten, dass der damalige CDU-Fraktionschef Klaus Rüdiger Landowsky sich im Frühjahr 1998 erdreistete, die Sprengung der Anlage zu fordern.
Doch die Zeiten sind andere. Seit zweieinhalb Jahren versucht der Präventionsrat Schöneberger Norden zusammen mit Bezirksamtsmitgliedern, Eigentümergesellschaft und interessierten Bewohnern die Situation in dem Betonklotz zum Positiven zu verändern. Dabei profitiert die Anlage vom so genannten Quartiersmanagement, einem Senatsprogramm zur Verbesserung des Wohnumfeldes in problembelasteten Kiezen.
Bisher wurden sämtliche Eingangsbereiche der Flachbauten erneuert. Im Hochhaus wird zur Zeit an einer Untergliederung der 240 Meter langen Flure in Teilabschnitte gearbeitet. Als nächster Schritt soll im kommenden Frühjahr ein zentraler Eingangsbereich mit Portiersloge geschaffen werden, die rund um die Uhr besetzt sein wird. Der große Parkplatz hinter dem Hochhaus ist unter Bürgerbeteiligung zu einem Park mit Aktions- und Grünflächen umgestaltet worden. Am 5. Oktober soll die Einweihung sein.
Aber auch sonst hat sich viel getan. Unter Anleitung der Arbeitsgemeinschaft für Sozialplanung und angewandte Stadtforschung (AG Spas) haben es die Bewohner geschafft, einen Mieterbeirat und zwei Frauengruppen zu gründen. Die Gruppen beteiligen sich an der Organisation von Festen und Trödelmärken. Jedes Jahr werden bespielsweise die zehn schönsten Balkons prämiert. Auch die Suche nach einem neuen Namen, mit dem man von dem Negativimage des „Sozialpalastes“ wegkommen wollte, wurde im März 2001 als Wettbewerb ausgeschrieben. Unter den 107 Vorschlägen befanden sich Namen wie Schöneberger Star, Terrassenhochhaus und Familienresidenz. Das Rennen machte schließlich der Vorschlag „Pallasseum“. Den ersten Preis, eine Wochenendreise an die Ostseee, gewann eine Migrantenfamilie. Sie ließ sich das Geld aber lieber auszahlen.
Demnächst soll auch ein Bewohnertreffpunkt mit eigener Teeküche und Veranstaltungsraum eingerichtet werden. Damit der Treffpunkt eigenverantwortlich geführt werden kann, muss ein Betreiberverein gegründet werden. Auch ein eigener Sportverein des Pallasseums soll so schnell wie möglich ins Leben gerufen werden, damit die Kids im Winter in einer Halle Basketball spielen können. Ein ehrenamtlicher Trainer hat sich unter den Bewohnern bereits gefunden.
„Vor vier Jahren war hier alles ganz desolat“, erinnert sich Irmtraut Nowakowski vom Mieterbeirat. Nicht ohne Stolz verweist sie auf die Blumen- und Gemüsebeete, die in einem der Höfe von Mietern und einem Schülerladen angelegt worden sind. „Das wäre früher undenkbar gewesen.“ Auch so eine Solidarität, wie es sie in der Brandnacht gegeben habe. Bewohner hätten für die Mieter, die während der Löscharbeiten auf der Straße standen, Kaffee und Tee gekocht. Die Evakuierten seien ohne Probleme in anderen Wohnungen untergekommen. „Es war ein ganz tolles Zusammengehörigkeitsgefühl“, freut sich Irmtraut Nowakowski. „Alles ist ganz ruhig abgelaufen. Man hat sich hier richtig gut aufgehoben gefühlt.“
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