: Zurück in die Gegenwart
Rita Bake erzählt nicht Geschichten, sondern die Geschichte der Frauen. Damit sich das Bewusstsein so schnell ändert wie Gesetze ■ Von Sandra Wilsdorf
Rita Bake lächelt, sagt Sachen wie „da kann man doch gar nichts dagegen haben“ und versetzt damit verbeamtete Hirne in Schwingungen und bürokratische Mühlsteine in jagende Bewegung. Denn sie hat ja Recht: Warum heißt der Klabundeweg in Bergstedt nach dem sozialdemokratischen Bürgerschaftsabgeordneten und Journalisten Erich und nicht nach seiner Frau Clara, die die erste Gerichtspräsidentin Deutschlands war, nämlich am Landesarbeitsgericht Hamburg? Oder warum heißt der Werfelring nach dem Schriftsteller Franz und nicht nach seiner Frau Alma Maria Mahler-Werfel.
„Von den 8000 Hamburger Straßen sind etwa 2000 nach Männern benannt und 275 nach Frauen“, hat Rita Bake recherchiert. Und weil Hamburg sich nicht mehr so ausdehnen wird, dass dieses Missverhältnis durch neue Straßen abzubauen wäre, hatte Rita Bake eine von ihren Ideen: Warum nicht durch ein Zusatzschild auf die ebenso bedeutende Frau oder Verwandte des Mannes hinweisen? Lore Maria Peschel-Gutzeit, Senatorin für Bezirksangelegenheiten, hat nun veranlasst, dass 14 Straßen solche Zusätze bekommen.
Rita Bakes Engagement für die Frauen dieser Stadt begann 1984 mit dem bundesweit ersten Stadtrundgang für Frauen: „Trotz Fleiß keinen Preis“ war die Veranschaulichung ihrer Promotion, die sich mit den Arbeits- und Lebensbedingungen von Manufakturarbeiterinnen in Hamburg beschäftigt. Seitdem folgten 22 Bücher und Broschüren – über Frauen im Hafen, Bürgerschaftsabgeordnete oder Frauengestalten im Rathaus. Die meisten erschienen bei der Landeszentrale für politische Bildung, bei der Rita Bake angestellt ist, aber aus einigen Biographien wurden auch Bücher. In „Ich will aber nicht murren“ hat Rita Bake beispielsweise die Geschichte von Margarethe Milow erzählt, einer Tochter des reichen Kaufmanns Hudtwalcker. Die liebte einen Kontorbediensteten des Vaters, musste aber einen Prediger heiraten. Sie bekam elf Kinder und starb mit 46 Jahren an Brustkrebs.
„Es geht mir nicht ums Geschichtenerzählen, sondern ich will heutige Strömungen erkennen und ihnen begegnen können“, erklärt Rita Bake. Das gilt auch für ihr derzeitiges Projekt: Unter dem Arbeitstitel „Ahnungen“ verarbeitet sie Tagebücher der Lehrerin Elisabeth Flügge. Die sammelte und kommentierte von 1932 bis 1934 Zeitungsartikel und machte damit klar, dass jeder aufmerksame Zeitungsleser damals hätte wissen können, wohin die Reise geht.
Weil die Gesetze sich manchmal schneller ändern als das Bewusstsein, macht Rita Bake klar, wie eng Gestern und Heute zusammenhängen. So eng wie Leben und Tod: Bei der Recherche der Lebensgeschichten bedeutender Frauen, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben sind, stellte die Historikerin fest, dass die Pacht für viele Gräber abgelaufen ist, die Grabsteine zu Straßenbelag geschreddert werden sollen. „Weil Frauen im Leben weniger bekannt waren, werden sie auch im Tod weniger erinnert.“ Rita Bake schrieb Porträts über viele dieser Hamburgerinnen und schlug Friedhofsverwaltung und Senat einen Garten der Frauen vor, in den sich Frauen von heute einkaufen können und damit die Umsetzung der historischen Grabsteine finanzieren. Den Garten anzulegen dauerte nicht einmal ein Jahr.
Rita Bakes Bruder starb bei einem Bombenangriff, da war er sechs. „Sonntags musste ich immer mit meiner Mutter auf den Friedhof gehen.“ Sich mit dem Totengräber zu unterhalten und die Kindergräber zu betrachten war ihre Art, den Tod des Bruders zu verarbeiten. Den Vater verlor sie mit elf, die Mutter mit 30. „Inzwischen sehe ich Geburt, Leben und Tod als eine Einheit, und komme mit dem Tod zurecht, weil ich herausgefunden habe, dass die Toten in unserer Erinnerung ewig leben“, sagt Rita Bake. Und weil das Leben, historisch gesehen, so kurz ist, sei es doch abartig, sich darin durch Rollenklischees beschränken zu lassen.
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