: Abgestempelt zu Menschen minderer Klasse
Dass staatliche Stellen das „Phänomen“ Rassismus nicht mit der staatlichen Praxis in Verbindung gebracht sehen wollen, ist offenkundig. Doch auch Ausgrenzung und Marginalisierung von Flüchtlingen schaffen den Nährboden für das Entstehen von Feindbildern und für Gewalt der Straße
Lebenswelten: Flüchtlinge in Deutschand, Teil 1: Staatliche Ausgrenzung. Die rassistischen Anteile deutscher Flüchtlingspolitik und Gesetzeslogik werden kaum wahrgenommen. Mit unserer dreiteiligen Serie wollen wir die Lebensbedingungen und den Alltag von Flüchtlingen hierzulande beleuchten. Das neue Zuwanderungsgesetz bringt eine Menge Neuregelungen, die Flüchtlinge betreffen. Grund genug, zu betrachten, wie Flüchtlinge bereits heute leben
von ANDREA KOTHEN
In nahezu allen Erklärungen und Beiträgen von Regierungsmitgliedern und Behördenvertretern wird Rassismus allein als Problem rechtsextremistischer Gewaltanwendung auf der Straße behandelt: Die Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft steige, immer mehr Menschen müssten um ihre Sicherheit fürchten usw. Mit Antirassismuskampagnen appelliert man an Toleranz und Zivilcourage des Einzelnen und beschließt allenfalls den Ausbau pädagogischer Maßnahmen. Rassismus wird letztlich auf die nicht staatliche, das staatliche Gewaltmonopol verletzende Form physischer Gewaltanwendung gegen „Fremde“ reduziert. Und man befürchtet in erster Linie einen Imageschaden für die Bundesrepublik und den Standort Deutschland.
Die Situation der Opfer dieser Gewalt – im Wesentlichen Flüchtlinge und (vermeintliche) „Ausländer“ – wird nur selten näher betrachtet. Diskriminierung und Ausgrenzung werden so lange nicht als rassistisch wahrgenommen, wie sie nicht mit physischer Gewalttätigkeit verknüpft sind. Dieses Verständnis von Rassismus ist bemerkenswert und erscheint dringend korrekturbedürftig in einem Land, in dem Aussonderung und Sonderbehandlung von Menschen nach rassistischen Kriterien historisch mit bürokratischem Perfektionismus betrieben wurden.
Eine konsequente Strafverfolgung von Tätern, Toleranzkampagnen und die Förderung gesellschaftspolitischer Maßnahmen sind richtige und wichtige Ansätze. Insbesondere der von der Bundesregierung neu eingerichtete Entschädigungsfonds von 10 Millionen Mark für Opfer rechtsextremistischer Gewalttaten ist zu begrüßen. Konsequent ist das staatliche Handeln aber nicht. Warum wird Flüchtlingen, die Opfer rassistischer Gewalt geworden sind, nicht die Wahl gelassen, wo sie sich fortan sicher fühlen und wohnen wollen? Warum wurden die großen Sammellager für Flüchtlinge nicht sofort aufgelöst, nachdem auf schreckliche Weise sichtbar geworden war, dass sie sich als Objekte für Brandanschläge geradezu anbieten? Wieso gibt es für die Sammellager nicht einmal verbindliche Sicherheitsvorschriften? Warum schützt man (zu Recht) jüdische Einrichtungen vor Schändung und Zerstörung durch Polizeibewachung, nicht aber die Menschen, deren Leben in Flüchtlingsunterkünften potenziell bedroht ist?
Hier stellt sich natürlich die Frage nach der politischen Verantwortung etwa des Gesetzgebers, der Flüchtlinge und Migranten durch restriktive Gesetze marginalisiert, als Menschen mit minderen Rechten kenntlich macht und ausgrenzt. Die Vermutung scheint nahe liegend, dass rassistische Gewalttäter sich auf eine gesellschaftlich akzeptierte Grundhaltung stützen können, die heißt: Flüchtlinge sind in Deutschland unerwünscht. Diese Grundhaltung schlägt sich nieder in misshandelnden Polizisten, strafverfolgungsunwilligen Staatsanwälten oder in Behördenwillkür, aber auch in Gesetzen und administrativen Bestimmungen, die der „Abschreckung“ von Flüchtlingen dienen sollen.
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist ein Beispiel dafür. Es fußt, wie andere staatliche Umgangsweisen mit Flüchtlingen auch, auf der diffamierenden Gleichsetzung „Asylbewerber gleich Missbrauch von Asylrecht und Sozialstaat“. Begründet wurde der im AsylbLG festgesehriebene prozentuale Abschlag an der Menschenwürde für Asylsuchende zunächst damit, dass die reduzierten Leistungen zeitlich begrenzt und auf die Situation eines in der Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthalts bezogen seien. Dieses Argument ist noch nicht rassistisch, da es den Unterprivilegierten zumindest theoretisch „Aufstiegschancen“ einräumt – jedenfalls dann, wenn dieser Aufstieg nach einer absehbaren Zeit und für die Betroffenen kalkulierbar auch eintritt. Genau dies erscheint jedoch mehr als zweifelhaft: Nach mehreren Novellierungen wurde der Zeitraum der Leistungskürzung für alle Flüchtlinge von einem auf mindestens drei Jahre verlängert und die Möglichkeit zu weiteren drastischen und unbefristeten Leistungskürzungen geschaffen. Das hat unter anderem zur Folge, dass manchen Flüchtlingen sogar das Dach über dem Kopf und das Essen verwehrt werden, um sie aus Deutschland zu vertreiben. Zuletzt warf im Februar der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach der Bundesregierung vor, durch den Verzicht auf weitere Einschränkungen einen „Anreiz“ zu schaffen, „aus wirtschaftlichen Gründen unter Berufung auf angebliche politische Verfolgung einen Asylantrag zu stellen“.
Wenn die Schamgrenze für das, was man Flüchtlingen zumutet, weiter sinkt, dann erscheint der Wegfall jeglicher Befristung nur als kleiner Schritt hin zum endgültigen Ausschluss Asylsuchender aus dem sozialen Sicherungssystem. Auch andere Begründungen machen deutlich, dass das Asylbewerberleistungsgesetz letztlich einer rassistischen Logik folgt. So hat zum Beispiel das OVG Lüneburg zur Rechtfertigung von Leistungskürzungen nach dem AsylbLG festgestellt: „Typischerweise ist der Lebensstandard in den Ländern, aus denen die Asylbewerber in der Regel stammen, niedriger als in der Bundesrepublik Deutschland. Legt man zu Grunde, dass der Lebensstandard, den die Ausländer in ihrer Heimat genossen haben, und dass der geringere Bedarf an sozialer Integration bewirkt, dass das Existenzminimum der in dem AsylbLG bezeichneten Personen unter dem Existenzminimum des Bundessozialhilfesatzes liegt, so ist das in dem AsylbLG gefundene Maß nicht zu beanstanden“ (Beschl. v. 27. 6. 1997, 12 L 5709/96).
Also: Wer in seinem Heimatland weniger hat, der braucht hier nicht mehr. Dass manche – bei weitem nicht alle – Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern ein niedrigeres Lebensniveau hatten als ein deutscher Sozialhilfeempfänger, mag sein. Die Begründung ist dennoch rassistisch, weil sie Menschen aufgrund deren Herkunft eine bestimmte Bedürfnislage und ein Anspruchsniveau zuschreibt und weil dieses Niveau bei Flüchtlingen „naturgemäß“ niedriger sein soll als bei Deutschen. Aus Flüchtlingen wird hier eine einheitliche, minderwertige Gruppe konstruiert.
Die Ausgrenzung von Flüchtlingen aus der sozialen Sicherung hat materielle Armut und manchmal nackte Not zur Folge. Das sichtbare Elend, das sich zumeist in heruntergekommenen Wohnheimen ballt und soziale Folgeprobleme nach sich zieht, befördert das Bild vom „Wirtschaftsflüchtling“, der nur hier ist, um an unserem Wohlstand teilzuhaben: Die Notlage zwingt die Betroffenen, etwa bei Ärzten um kostenlose Hilfe zu bitten oder unverzichtbare Bedürfnisse auf andere Weise zu befriedigen – mit dem Risiko weiterer Stigmatisierung. Das Sachleistungsprinzip des AsylbLG tut ein Übriges, Flüchtlinge, zum Beispiel an der Ladenkasse, erkennbar als sozialleistungsabhängig, rechtlos und damit als offensichtli- che „Missbraucher“ unseres Sozialsystems zu brandmarken.
Ob es die Sammellager sind, in die Flüchtlinge auf engstem Raum eingepfercht werden, die Fresspakete und Gutscheine, mit denen man sie demütigt, die Polizeikontrollen, mit denen heute jeder Dunkelhäutige auf Bahnhöfen fast zwangsläufig rechnen muss, oder die entwürdigende Behandlung in Behörden und Ämtern: überall sind Flüchtlinge mit einer gesetzlich legitimierten Sonderbehandlung konfrontiert. Eine Politik der Herabsetzung, der Ausgrenzung und Stigmatisierung hat sie längst zu „sozialen Feinden“ gemacht – lange bevor rechte Gewalttäter ihren dumpfen Hass an ihnen austoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen