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Jede Aktie ist voll Herzblut

Der Investor und sein Wertpapier: Keine andere Geldanlage ist so stark emotional besetzt. Unternehmen kreieren mit ihren Aktien Markenprodukte. Betrachtungen eines Fachmannes

Die Deutsche Telekom hat den Grundstein für die deutsche Aktienkultur gelegt. 1996 – mit dem stark umworbenen Börsengang – lernten private Anleger die Welt der Aktienmärkte erstmals richtig kennen. Die Wirkung von Unternehmenskäufen und -verkäufen, der Einfluss von Großaktionären, Börsengängern, Kapitalerhöhungen, Vorstandsveränderungen und Expansion in neue Märkte auf das eigene Portmonee ist durch die Deutsche Telekom für die meisten Privatanleger zum ersten Mal Realität geworden. Alle haben etwas gewusst, geahnt und doch gezögert, haben sich zu früh oder zu spät zum Handeln entschieden.

Heute wissen die privaten Anleger, wie schnell sich die Börse wandeln kann und wie brutal und kalt die Märkte sind. Sie erahnen auch die Macht und das Spiel der Analysten, Interpreten und der Medien. Nur: In Wirklichkeit interessiert sich keiner von ihnen für das Depot der Anleger. Jetzt, da der Telekom-Aktienkurs sich der Erstnotiz von 1996 nähert, haben die meisten Privatanleger ihre Aktienlehrzeit innerhalb von fünf Jahren erfolgreich abgeschlossen. Wir kennen die euphorischen Glücksgefühle eines steigenden, Gewinn bringenden persönlichen Aktiendepots, und wir haben die Schmerzen eines Aktienabsturzes gespürt. Ein verlorener Euro löst eben doppelt so viele Emotionen aus wie ein gewonnener.

Wir sollten der Deutschen Telekom für die harte Aktienschule dankbar sein. Denn eines hat sie erreicht: Heute wissen wir mehr über das Unternehmen als je zuvor, kennen die Vorstände, die Produkte. Die Deutsche Telekom hat über die Aktie persönliches Interesse und auch Engagement der Anleger geweckt. Wir haben über die Aktie eine emotionale Verbindung zum Unternehmen aufgebaut. Ein Potenzial, das die Deutsche Telekom sensibel nutzen kann.

Diese Emotionalität entsteht immer, wenn Geld privat in Aktien angelegt wird. Und da jeder emotional anders temperiert ist, gibt es entsprechend vielfältige Anlegertypen. Diese Typen lassen sich kaum soziodemografisch beschreiben, sondern rein psychologisch. Die meisten Typologien unterscheiden fünf Typen von Anlegern, wobei der Ansatz des Kölner Instituts Rheingold am weitesten führt:

Der „Börsenvoyeur“ erlebt das Börsengeschehen so spannend wie eine Krimiserie; als Haderer und Zögerer ist er von starken Verlustängsten geprägt. Dagegen überträgt der „stille Teilhaber“ sein Schicksal und die Verantwortung lieber einem vermeintlichen Experten. Der „Kleinabsahner“, sich ständig zwischen Gewinngier und Sicherheitsdenken in Widersprüchlichkeiten verwickelnd, handelt nervös. Ganz von sich selbst überzeugt geht hingegen der „Quartalsspekulant“ an der Börse vor, für den Aktien wie Chips im Spielcasino sind. Seine Entscheidungen kommen klar aus dem Bauch, sind spontan und schnell. Eigene Überlebens- und persönliche Erfolgsstrategien hat der sich überschätzende „Sytemzocker“ entwickelt. Der Einstieg in mit hohen Risiken behaftete Papiere, häufig mit geliehenem Geld, kennzeichnen diesen Typ Anleger. Der Thrill einer Geldanlage ist für ihn besonders wichtig.

Mit der engen emotionalen Beziehung (dem Thrill) der privaten Anleger zu ihren Aktien entsteht auch das Bedürfnis nach Informationen über die Unternehmen, denen sie über die Aktie ihr Geld anvertrauen. Im Gegenzug erwarten sie vertrauensvolle Kommunikation seitens der Unternehmen. Hier liegt die Chance der Vorstände, loyale Aktionäre für sich zu gewinnen und sich gegen andere Aktien oder Geldanlagen durchzusetzen. Nur ein klares Bild von Unternehmen verhindert die Austauschbarkeit von Aktien. Ohne konsequente Kommunikation mit den privaten Anlegern sind Aktien beliebig. Warum sollte ein Anleger einer Aktie vertrauen, die er nicht kennt, von der er kein Bild im Kopf hat? Es ist wie bei jedem Markenartikel: Was ich nicht kenne, das kaufe ich nicht. Der große Unterschied zum Markenartikel liegt in der hohen Involviertheit. Wer hat schon zu seinem Rasierer oder der Pizza eine ebenso emotionale Beziehung wie zu seiner Aktie? Die Aktie ist eben die emotionale Marke für jeden Anleger, dem Geld nicht egal ist. JOHANNES C. RÖHR

Der Autor ist Geschäftsführer der KNSK Werbeagentur Hamburg.

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