Der Roland in echt und die Frauen im Laub

■ Wer glaubt, Steine seien leblos, der ist noch nie mit offenen Augen durch den Park des Focke-Museums gelustwandelt. Dort kommen Träumer und Genießer voll auf ihre Kosten

Er war ein gut aussehender Schnösel, ein eingebildeter Fatzke und das wurde ihm zum Verhängnis. Man sollte kleinwüchsige Liebesgötter eben nicht hänseln, lieber Apoll. Sonst beschießen die einen mit goldenen Pfeilen, die das Herz in Flammen setzen. Das allein wäre noch kein Drama, wenn die Angebetete (Daphne) nicht einen bleiernen Pfeil abgekriegt hätte und deshalb für Liebe unempfänglich geworden wäre. Apoll fing also an, Daphne nachzusteigen. Bis diese sich aus lauter Verzweiflung in einen Lorbeerbaum verwandeln ließ, um für Apoll unerreichbar zu sein. Seitdem trägt der Gott der schönen Künste einen Lorbeerkranz. Und er steht, schmachtend im Park des Focke-Museums. Vor 265 Jahren meißelte ein Schüler des berühmten Bremer Bildhauers Theophil Wilhelm Frese den Schönen in Sandstein.

Im Busch gegenüber steht ein Steinsockel, der die Geschichte Daphnes erzählt. Auf ihm trohnt jedoch nicht die Nymphe selbst, sondern Jagdgöttin Diana. Warum das so ist, weiß auch Judith Niehuis nicht, die sich ansonsten mit den steinernen Kunstwerken im und um das Focke-Museum bestens auskennt.

Zur Zeit des Rokoko seien halbnackte Götterfiguren ein beliebtes Motiv gewesen. Ebenso spielende Kinder, dicke Engelchen oder die vier Jahreszeiten. Auch Theophil Wilhelm Frese hat sich diesem Trend angeschlossen. Zum Beispiel bei der um 1750 entstandenen Flora . „Typisch Rokoko“, stellt Judith Niehuis fest. „So sinnesfreudig, rund und mit viel Blattwerk.“ Flora verkörpert mit ihrem breiten Grinsen und dem nackten Oberkörper die pure Lebensfreude. Ein echtes Rasseweib eben.

Frese gilt als bedeutendster Bremer Bildhauer des 18. Jahrhunderts und als äußerst exzentrisch. „Er war ein Querulant“, behauptet Niehuis. Die Ofenplatten, die er für den Bremer Rat meißeln sollte, bekam er zurückgeschickt. Zu vollbusig seien die Figuren, ungeeignet für ehrwürdige Rathaussäle.

Dabei waren die Bremer Ratsherren sehr angetan vom neuen Skulpturentrend, stand doch mit dem Obernkirchener Sandstein das beste Material weit und breit zur Verfügung. Die hochverschuldeten Betreiber des Sandsteinbruchs bei Rinteln waren gezwungen, den Bremern das alleinige Verkaufsrecht einzuräumen.

Es ist ein besonders feinporiger, kaum Nässe aufnehmender Stein und deshalb im norddeutschen, feuchten Klima frostbeständig. Der Roland auf dem Marktplatz ist aus so genanntem Bremer Marmor gemacht und auch die Rathausfassade.

Mitte des 18. Jahrhunderts florierte dann die Bremer Bildhauerbranche. Reiche Stadtbewohner legten sich in der Neustadt Sommergärten an und beauftragten Männer wie Frese, diese mit Stein zu veredeln. In einem solcher Gärten standen auch die zwei piekfeinen Kinder, die jetzt eine Bank im Focke-Park umrahmen. Oder der steinerne Löwe, in einem ehemaligen Fuhrmannshof entdeckt, wo man ihn als Aufsteighilfe für die Pferde benutzte.

„Im Klassizismus wollte man die Stücke dann nicht mehr haben“, sagt Judith Niehuis beinahe fassungslos. Sie zeigt auf zwei reich verzierte Pylonen – nach oben verjüngte Säulen – die man einst im Bauschutt fand. Auch sie stammen aus der Hand Freses.

„Stellen Sie sich vor, dies wäre ein Sommersitz und sie fahren mit der offenen Pferdekutsche hier zwischen durch.“ Niehuis bekommt glänzende Augen. Überall Blumenranken, Ornamente im Überfluss „Und hier, wie frech, diese Putten. Man kann sich richtig vorstellen, wie sie da übermütig spielen.“

Sie hat Recht. Es fehlt nur noch das weiße Sonnenschirmchen, ein bisschen Chopin im Hintergrund, und man könnte sich im Focke-Park fühlen wie bei Hofe.spo

Fotos:

Kay Michalak