: Künast sät die Agrarwende
Bundesverbraucherministerin Renate Künast will die Agrarwende in Modellregionen einleiten. Gestern startete Wettbewerb mit 50 Millionen Mark Fördergeldern
BERLIN taz ■ In fünfzehn Minuten, sang einst der Rocker Udo Lindenberg, sind die Russen auf dem Kurfürstendamm. Zwar wartet man in der Hauptstadt immer noch auf die Erfüllung der Lindenberg’schen Prophezeiung. Gestern immerhin war es die Bundesverbraucherministerin, die mit einem Traktor bis ins Zentrum der Hauptstadt vorstieß: Renate Künast (Grüne) pflügte gemeinsam mit dem Aktionskünstler Hermann Josef Hack und einem Trecker Marke „Farmer 411“ ein eigens angelegtes Feld vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
„Wir wissen, wo wir herkommen“, begründete die Verbraucherministerin ihr höchst ungewöhnliches Tagewerk – „aus einer Landwirtschaft, die statt auf Klasse ihre Priorität auf die Masse setzte“. Die Folgen seien bekannt und gegenwärtig. Unumwunden gab Künast dann zu: „Wohin wir wollen, ist allenfalls als Stichwort klar: hin zu einer multifunktionalen Landwirtschaft – zur Argrarwende.“ Wie diese praktisch aussieht, sei aber unklar. Und deshalb, so Künast, „müssen wir Leitbilder produzieren“. Die Politik brauche praktische Anregungen von Bauern, Verbrauchern, Produzenten oder Umweltschützern.
Für diese Kreativarbeit stellt Künasts Ministerium jetzt 50 Millionen Mark zur Verfügung – frisches Geld aus der Kasse von Finanzminister Hans Eichel (SPD). Mit der Pflügaktion – Kinder streuten hernach den Samen von Bioweizen in die gebrochene Erde – fiel gestern der offizielle Startschuss für den Wettbewerb „Regionen Aktiv – Land gestaltet Zukunft“. Umwelt- und Bauernverbände, landwirtschaftliche Bildungseinrichtungen und Erzeuger, Stadt und Land sollen sich zusammensetzen und Ideen entwickeln. Ideen, mit denen neue Wege in der ländlichen Entwicklung beschritten werden können, die sich in der Zukunft selbst tragen und so zum Vorbild für den gesamten ländlichen Raum und seine Verbindung zur Stadt werden.
„Viele in diesem Land haben mir gesagt, dass sie sich schon jetzt treffen und Ideen schmieden.“ Künast gab sich gestern zuversichtlich, dass ihr Wettbewerb die Agrarwende nun tatsächlich in Gang setzt. Bis zum 14. November können Gemeinden oder Landkreise ihre Zukunftsvisionen einreichen. Die Bewerbung muss einige Fragen beantworten: „Woher kommt die Region?“, „Wohin will sie?“ und „Wie schafft die regionale Partnerschaft, dies umzusetzen?“ Eine Jury wird aus den Bewerbungen die 30 interessantesten filtern und zur weiteren Bearbeitung überweisen. Die Überarbeitung in den „Denkfabriken“ wird mit immerhin 10.000 Mark gefördert. Im März nächsten Jahres werden daraus zehn bis 15 Gewinner ermittelt. Ihnen wird zwei, maximal drei Jahre lang eine Förderung von 3 Millionen Mark im Jahr zuteil.
Erst in der vergangenen Woche hatte Renate Künast den Startschuss für ein neues einheitliches Gütezeichen für Produkte aus dem ökologischen Landbau gegeben. Während sich das grün umrandete Sechseck mit der Aufschrift „BIO nach EG-Öko-Verordnung“ vor allem an die Verbraucher richtet, zielt der jetzige Wettbewerb auf die Strukturentwicklung. Es gehe darum, die eingefahrenen Förderschienen von oben nach unten aufzubrechen und Agrarwendeprojekte zielgenauer zu unterstützen, heißt es in der für Strukturentwicklung zuständigen Abteilung des Ministeriums.
Ob Künasts Saat aufgeht, ist ungewiss. Zumindest die an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche hat keine Chance. Nach der Aktion wurde das „Feld“ auch schon wieder beseitigt. Ein Ministeriumssprecher: „Die Saat hätte wegen uriner Überdüngung dort sowieso keine Chance.“
NICK REIMER
Wettbewerb im Internet: www.modellregionen.deInformationsveranstaltung am 26. September in Bonn
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