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Land kann man nicht essen

Zuerst war kein Geld für gebrauchte Kleider mehr da. Inzwischen reicht Milton Garcías Ernte nicht mal zum Sattwerden

aus Tegucigalpa TONI KEPPELER

Schon vor dem großen Wirbelsturm war Milton García bitter arm. Aber er hatte immerhin genug, um seiner Frau und seinen drei Töchtern einmal im Jahr auf dem Gebrauchtwarenmarkt in Tegucigalpa ein neues Kleid zu kaufen. Es war Essen im Haus, und die Kinder konnten zur Schule. Ende 1998 kam „Mitch“. Seither gibt es keine neuen gebrauchten Kleider mehr. Und jetzt, mit der Dürre, wird auch das Essen in Honduras knapp. Wenn die letzten Vorräte zu Ende gehen, hat García nur noch eines: Land. Aber Land kann man nicht essen.

Die derzeitige Hungersnot in Zentralamerika, sagen Vertreter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen vor Ort, sei die schlimmste Katastrophe in der Region seit dem Wirbelsturm „Mitch“. Milton García sieht das anders. Für ihn gibt es nur eine einzige Katastrophe, die mit „Mitch“ ihren Anfang nahm und sich seither fortsetzt.

García hat sein Land vor bald 15 Jahren besetzt, zusammen mit 14 weiteren Familien aus der Gegend von Talanga, einem Nest 20 Kilometer nördlich der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa. Sie kamen im Mai, denn der Mai ist der Monat der Aussaat. 80 Hektar staubiges Brachland lagen da in der Hochebene außerhalb von Talanga. Kaum ein Baum stand dort. Nur ein paar dornige Büsche. Die Besetzer bauten provisorische Hütten und blieben. Viel zu befürchten hatten sie damals nicht. In jedem Monat Mai jener Jahre gab es Landbesetzungen zuhauf.

1972 trat in Honduras eine Agrarreform in Kraft, nach der Brachland und Ländereien, die eine je nach Bodenqualität unterschiedliche Höchstgrenze übersteigen, an landlose Bauern verteilt werden müssen. Nur für so genannte strategische Betriebe gelten die Höchstgrenzen nicht. Gemeint sind damit die riesigen Bananenplantagen der US-amerikanischen Fruchtkonzerne sowie die Zuckerrohrfelder und Ölpalmenwälder der einheimischen Millionäre.

Auf dem Boden, den die Großen nicht brauchen konnten, sollten Kleinbauern die Versorgung mit den Grundnahrungsmitteln Mais, Reis und Bohnen sichern. Die Landreform, verordnet vom damaligen Militärdiktator Osvaldo López Arellano, war ein politisch weitsichtiger Schritt. Sie machte den Campesinos Hoffnung und verhinderte damit die Entstehung einer starken Guerillabewegung. Doch Land wurde nur dann verteilt, wenn es zuvor besetzt worden war.

Die 80 Hektar, die sich García und die anderen 14 Familien damals nahmen, waren eigentlich zu viel. Rund die Hälfte davon wurde nie bearbeitet. Doch das interessiert den Bauern nicht. „Das Land war eben da. Wir wären auch mit weniger zufrieden gewesen.“ Er sagt das mit der Gleichgültigkeit eines Campesino, der schon immer nur von heute auf morgen lebt. Wenn nichts da ist, gibt es nichts und man leidet Hunger. Und wenn einmal zu viel da ist – was fast nie vorkommt –, dann nimmt man sich eben zu viel. Nein, García hat keinen aufmüpfigen Charakter. Schon gar keinen revolutionären. Es war damals einfach üblich, dass man im Mai Land besetzte.

Mit derselben Gleichgültigkeit gründeten er und seine Mitbesetzer eine Kooperative. „Das Agrarreform-Institut vergab Besitzurkunden nur an Kooperativen. Da haben wir eben eine gegründet. Aber hier bearbeitet jeder seinen eigenen Boden. Das war schon immer so.“ Eben weil kein Campesino viel besitzt, wacht jeder streng über sein weniges Eigentum. „Mir gehört dieses Haus“, sagt García, „das Maisfeld da drüben und der Acker mit Bohnen hier. Und mein größter Reichtum sind meine Töchter.“ Er macht eine Miene, als wisse er nicht recht, ob er nun stolz darauf sein kann oder nicht. Unsicher schiebt er den Sombrero in den Nacken und wischt sich die Schweißperlen von der Oberlippe.

Die Töchter sind vier, sechs und acht Jahre alt. Sie tragen ausgewaschene Kleider, aus denen sie herausgewachsen sind. Die mittlere besitzt zerschlissene Badeschlappen. Die anderen beiden gehen barfuß. Alle drei haben pechschwarze Haare und von Parasiten aufgedunsene Bäuche. Das Maisfeld ist gut zwei Hektar groß, der Bohnenacker nicht einmal einen. Und das Haus ist eine Einraumhütte mit Lehmziegelwänden. Die Latrine aus Wellblech steht ein paar Schritte abseits.

In den ersten Jahren reichten die paar Hektar zum Überleben. „Drei oder vier Sack Mais und einen Sack Bohnen habe ich immer auf den Markt gebracht.“ Davon konnte er das Nötigste kaufen. Sogar das alte Fahrrad, das an einer Ecke seiner Hütte lehnt. Und mehr Land zu bebauen ging einfach nicht. „Am Willen fehlt es nicht. Meine Frau und die Älteste könnten ja helfen. Aber es blieb kein Geld übrig für genügend Saatgut und Dünger.“

Früher, erinnert sich García, legte sein Vater immer einen Teil der Maisernte zur Seite und nutzte ihn für die nächste Aussaat. Doch dann kamen moderne Hybridsorten samt den dazugehörigen Düngemitteln ins Land. Ihr Ertrag ist höher. Wer nicht umstellte, hatte das Nachsehen. Die alten heimischen Sorten sind deshalb so gut wie verschwunden. Aber das neue Saatgut taugt nur für eine, höchstens für zwei Ernten. Dann muss neues gekauft werden.

Es kam für García nie in Frage, einen Kredit aufzunehmen und damit seine Anbaufläche zu erweitern. Erst hatten die Besetzer jahrelang keinen Besitztitel, und ohne Garantie rückt keine Bank Geld heraus. Seit die Kooperative rechtmäßige Besitzerin der 80 Hektar ist, könnten die Genossen Garantien anbieten. Doch sie fürchten um ihren Boden. „Stell dir vor, du nimmst einen Kredit auf und hast eine Missernte. Dann verlierst du dein Land an die Bank.“ Und lange Zeit ging es ja auch ohne Kredit.

Das labile wirtschaftliche Gleichgewicht von Garcías Familie kam ins Wanken, als Ende Oktober 1998 der Wirbelsturm „Mitch“ kreuz und quer über Zentralamerika zog und mit Überschwemmungen und Erdrutschen wahrscheinlich mehr als 15.000 Menschen in den Tod riss. In der Gegend von Talanga passierte damals nicht allzu viel. Die Kooperative erlitt keinen nennenswerten Schaden. Die Probleme begannen erst kurz darauf, als der Maispreis in den Keller fiel.

Man sollte meinen, dass nach solch einer Katastrophe die Preise steigen. Ein Teil der nationalen Ernte war von den Wasserfluten des Wirbelsturms vernichtet worden. Zehntausende Honduraner lebten in Notlagern und mussten verpflegt werden. Doch der Maispreis sank um 30 Prozent, denn die Regierung hatte den Einfuhrzoll von 45 auf 1 Prozent gesenkt. Die nationale Produktion war plötzlich nicht mehr konkurrenzfähig. Einige wenige Großimporteure profitierten davon. Aber die einheimischen Kleinbauern reduzierten im Jahr nach dem Sturm die Maisanbaufläche um 70.000 Hektar, weil sie kein Geld mehr hatten für neues Saatgut.

García verkleinerte sein Feld nicht. Er kaufte so viel Saatgut wie immer und versuchte, den Einkommensverlust durch familiäre Austeritätspolitik auszugleichen: Es gab keine Kleider für Frau und Töchter, keine Bleistifte und Hefte und also auch keinen Schulbesuch. „Ich dachte mir, ein Jahr lang geht das schon. Und wenn ich jetzt weniger anbauen würde, würde ich auch im nächsten Jahr weniger verdienen. Ein Unwetter wie Mitch gibt es ja nicht alle Jahre.“

Doch kann nicht nur ein verheerender Hurrikan Not bringen. Im Jahr nach „Mitch“ gab es in Honduras Überschwemmungen. Und nun die schreckliche Dürre. In der Gegend von Talanga sind mehr als die Hälfte des Maises und fast alle Bohnen verdorrt. Garcías Ernte reicht nicht einmal für den Eigenbedarf. Von der häuslichen Ausgabenliste ist längst alles gestrichen, was irgendwie zu streichen ist. Was also tun? García bleibt nur, zu warten. Darauf, dass irgendeine Hilfsorganisation vorbeikommt und Lebensmittelpakete verteilt. Mit importiertem Mais.

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