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„Ich erkenne keine Geschichte“

Julius Schoeps, Leiter des Moses Mendelssohn Zentrums für Europäisch-Jüdische Studien an der Universität Potsdam, über mangelnde Zuordnung der Ausstellungsobjekte und fehlende Fragestellungen

taz: Herr Schoeps, wie ist denn Ihr erster Eindruck von der Ausstellung?

Julius Schoeps: Es sind interessante Objekte, viele Eindrücke. In gewisser Weise wird die Ausstellung analog dem Gebäude: Jüdische Geschichte ist dekonstruiert in viele Mosaike. Ich befürchte nur, dass die Besucher etwas verwirrt sein werden, wenn sie durch die Ausstellung laufen. Denn eine Chronologie ist nicht vorhanden. Bei manchen Objekten weiß man auch gar nicht, warum sie ausgewählt worden sind. Bei anderen Objekten erschließt sich das sofort. An dieser Ausstellung muss noch gearbeitet werden. Und dann kann durchaus eine passable Dauerausstellung daraus werden.

Es gab im Vorfeld ja die Befürchtung, die Ausstellung könnte eine Art Disneyland-Verschnitt werden. Hat sich diese Befürchtung bewahrheitet?

Um es mal so zu formulieren: Diese Ausstellung ist gefällig. Das Objekt ist nicht das Zentrale. Es gibt bestimmte Ausstellungsstücke, die großartig sind, die man sehen sollte. Aber hier ist manches dabei, auf das man genauso gut hätte verzichten können.

Erkennen Sie auch ein wenig Ihre eigene Geschichte wieder?

Nein, ich kann das nicht erkennen. Das ist nicht meine Geschichte. Ich erkenne in der Ausstellung keinen roten Faden. Ich vermisse Fragestellungen.

Sie kommen aus einer deutsch-jüdischen Familie. Im Grunde müssten Sie einen Teil Ihrer eigenen Geschichte hier wiedererkennen.

Ich kenne als Fachmann für jüdische Museen natürlich bestimmte Objekte und Bilder – und das ist auch in Ordnung, dass sie hier sind. Aber bei anderen Exponaten frage ich mich: Warum hat man sie ausgewählt? Mir fehlt vielfach die Begründung. Warum muss ein Besucher dieses Museum besuchen und was wird ihm hier vermittelt? Es steht auf den Eintrittskarten: „Zweitausend Jahre deutsch-jüdische Geschichte“. Es gibt keine 2.000 Jahre deutsch-jüdische Geschichte, schon gar nicht gibt es eine 2.000 Jahre alte deutsche Geschichte – jüdische schon, aber keine deutsche. Vielleicht hätte man – um es bissig zu formulieren – sagen sollen: „Zweitausend Jahre germanisch-deutsch-jüdische Geschichte“.

Eine der Befürchtungen war, dass der Bau die Ausstellung erschlagen könnte.

Die Architektur ist sehr dominant. Man hat versucht, sich an dieser Architektur zu orientieren. Das fällt den Ausstellungsmachern sehr, sehr schwer. Ich glaube auch nicht, dass man ohne weiteres in dieser Architektur Wechselausstellungen platzieren kann. Vielleicht sollte man nur eine Dauerausstellung vorsehen, in der Teile von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden.

Ist diese Ausstellung auch für die Zukunft tragbar? Werden spätere Generationen damit noch etwas anfangen können?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage, weil sich die Fragen und die Ästhetik wandeln mit jeder Generation. In 50 Jahren werden die Menschen andere Fragen haben als heute. Ob die Ausstellung ein Publikumserfolg werden wird? Ich wage keine Prognose.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER

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