„Man hat Angst“

■ Hamburger SchülerInnen am Tag danach: Schwerstarbeit für Pädagogen ■ Von Kaija Kutter

Noch am Abend rief eine Kollegin bei Schulleiter Jan Behrend an. „Wie soll ich mit den SchülerInnen darüber reden“, wollte sie wissen. Am nächsten Morgen war an der Altonaer Theodor-Haubach-Schule alles anders als sonst. SchülerInnen waren still, brachten Zeitungen mit, sprachen die LehrerInnen zu Beginn des Unterrichts an. Der Tag nach den Attentaten in den USA: Schwerstarbeit für Pädagogen.

Sogar im Kindergarten, davon geht der Erziehungswissenschaftler Peter Struck aus, reden die Kinder über die schrecklichen Bilder. „Es hat keinen Zweck, dies Vier- und Fünfjährigen vorzuenthalten“, sagt er. Sonst hörten sie davon in der Sandkiste. Allerdings sollte man auch nicht ohne Not Kinder darauf stoßen. Grobe Faustregel: Wann immer Kinder solch ein Thema mitbekommen, müssen Erwachsene darauf eingehen. „Dosiert“, wie Struck sagt. Und ohne die eigene Panik auf das Kind zu übertragen.

Kleine Kinder, so Struck, könnten die TV-Bilder noch kaum von Videospielen und Comics unterscheiden. SchülerInnen höherer Klassen haben die Möglichkeit der intellektuellen Verarbeitung. Am meisten, so Struck, „leiden die 10- bis 11-Jährigen“.

Alle haben ferngesehen, viele sogar allein. Die Hälfte ihrer 4. Klasse, so schätzt Lehrerin Annette Koch, „hat noch die Schutzfunktion, dass sie Fernsehen nicht für Realität halten“. Die andere Hälfte nicht. Da ist es nötig, drüber zu sprechen, die „Bilder, die die Kinder sehen, wieder in Ordnung zu bringen, damit sie nicht so wahnsinnige Angst haben“.

Unterricht in der Nachbarklasse 4a. Das Thema „Zeitung“ steht zurzeit ohnehin auf dem Stundenplan. Alle Kinder haben die Katastrophe bis ins Detail verfolgt. Ein Mädchen mit ihren Eltern spät abends im Bett. „Da flog so ein Hubschrauber über unser Haus, da hatte ich große Angst.“ Jedes Kind möchte an diesem Morgen etwas loswerden. Diszipliniert der Reihe nach sprechen die Schüler im Kreis. „Ich fand es gemein, dass die Palästinenser gejubelt haben“, sagt ein Junge. „Ich hab Angst, dass so was in Deutschland passiert“, sorgt sich ein Sohn iranischer Eltern. Und er habe Angst, „dass die Verdacht schöpfen, dass der Iran das war“.

Aber die Iraner hätten sich doch gar nicht gefreut, beruhigt ihn Klassenlehrerin Brigitte Neumann. „Warum kann es zu einem Weltkrieg kommen? Wir haben doch gar nichts gemacht?“, will die kleine Riecke wissen, die selber schon mal in Amerika war. Genau wie Mitschüler Stefan, der sogar das World Trade Center besichtigt hat.

Wie viele Länder seien wir mit Amerika befreundet, erklärt Brigitte Neumann, „und einem Freund, dem hilft man nun mal“. Aber es stehe ja noch gar fest, wer hinter dem Attentat steckt: „Ich glaube nicht, dass das was mit unserem Land zu tun hat“, sagt sie den Kindern. Und: „Im Augenblick braucht ihr nicht so dolle Angst zu haben.“

„Die wollen, dass alle den islamischen Glauben haben, deswegen haben die das gemacht“, vermutet der kleine Zafet. Wie viele versteht er nicht, warum die Attentäter für ihren Gott sterben: „Dass kann man doch tun, wenn man alt ist.“ Ein Mädchen fragt: „Haben welche überlebt?“ – „Ja, ganz, ganz viele.“ Riecke erzählt die Geschichte aus dem Radio, von dem Kind, dass seine Mutter gerettet hat, weil ihm einfiel, dass sie ihr Handy dabei hatte. „Manche waren so bescheuert, nochmal ins Gebäude zu laufen“, sagt ein Junge und erntet von seiner Mitschülerin Kritik: „Das war doch nicht bescheuert, das würde ich auch tun, um Freunde zu retten.“

Am Ende der Stunde zünden die Schüler eine rote Kerze an. Eine Minute, so schlägt die Lehrerin vor, sollen alle still sein und den Toten gedenken. Es klappt nicht ganz. Einige fangen nach 40 Sekunden an zu kichern. „Ich kann das verstehen“, sagt Brigitte Neumann, „auch nach so einer traurigen Sache darf man wieder lachen.“ Die Kinder in diesem Alter beschäftige mehr die Katastrophe an sich. „Die politische Dimension haben die noch nicht so vor Augen“, sagt Koch.

Anders in Klasse 8. „Bei meinen Schülern besteht die Sorge, wie die USA reagiert. Die halten deren Präsidenten George W. Bush für eine aggressive Persönlichkeit“, sagt Klassenlehrer Wittich Fischer. „Man hat Angst“, sagt auch Neuntklässler Cülent. „Wir werden das jetzt als Projekt im Politikunterricht behandeln“, sagt sein Freund Dennis: „Ich wußte gar nicht, dass da so ein großer Konflikt ist.“