piwik no script img

Kinder an die Macht

■ Der Anschlag aus Schüler-Sicht / Bremens SchülerInnen protestierten gegen den Terror

Schule war gestern nicht. Nicht gestern, nicht am Tag nach den Anschlägen, wo man nicht einfach so weiterlernen kann. „Wir wollten bewusst den Alltag unterbrechen und unsere Anteilnahme zeigen“, sagten einige. Statt zur Schule rannten viele Schülerinnen und Schüler zu einem „spontanen Trauermarsch“ auf den Domshof. Um zu „trauern, über das, was sich die Welt geleistet hat“, wie sie in Tiefschwarz auf ihre Plakate geschrieben haben.

Tatsächlich waren es hunderte SchülerInnen, die auf dem Domshof, im Dom und später in der Bürgerschaft zusammenkamen. Gegen elf Uhr hatte Bürgerschaftspräsident Christian Weber (SPD) für anderthalb Stunden Haus und Türen für Diskussionen geöffnet. Dort, wo inzwischen die Kondolenzbücher ausliegen. Im vollbesetzten Plenarsaal ließen die Youngster schließlich richtig Dampf ab – gegen die Vereinigten Staaten und die Zugucker im Rest der Welt.

Getrieben waren sie von Wut, Empörung, Trauer und vor allem Angst. Angst davor, „wozu Amerika fähig ist“, zu Kurzschlussreaktion und Vergeltungsschlägen. Rund um das Mikrofon reihte sich eine lange Schlange, um den anderen ihre Sicht auf die Dinge zu erklären, zu schimpfen und anzuklagen.

„In meinen Augen ist das doch Krieg, Mord“, sagt eine junge Frau unter donnerndem Applaus. Jetzt würden die USA die Karte dafür kriegen, für ihre „Selbstbezogenheit und Arroganz, mit der sie sich über die Probleme der Welt hinwegsetzen“. Noch mehr donnernder Applaus. Und weiter: Man dürfe sich nicht wundern, dass „auf dem Boden der sozialen Ungleichheit Fanatismus wächst“. Mit dieser Politik treibe man Leute doch letztlich in die Verzweiflung.

Ein Azubi, der gestern einfach blau gemacht hatte, ist froh über die spontane Aktion, froh, dass so viele SchülerInnen auf dem Markt erschienen sind und sich nicht einfach zu Hause einen schönen Tag machen. „Unsere Generation sind eben doch nicht nur Konsum-Idioten.“ Mindestens 600 engagierte DiskutiererInnen zählte man allein in der Bürgerschaft.

Seltsam fand ein junger Mann aus Jordanien vor allem den Medien-Hype. „In Israel passiert so etwas doch täglich.“ Mehr als eine Minute in den Nachrichten käme da aber nie bei raus. Am Dienstag aber unterbrachen die Sender gleich stundenlang ihr Programm. „Dabei ist doch eigentlich jeder Mensch gleich.“

Ein Anderer geht nur kurz nach vorne, um den anderen zu verkünden, dass man aus der Ansammlung eine spontane „Love-Parade“ auf dem Domshof machen sollte. Gekicher. Dann ist der Techno-Fan schon wieder weg, und der Nächste steht am Mikro. Der Nächste kommt eigentlich aus Koblenz und ist gerade nur auf Klassenfahrt in Bremen. „Wir wollten hier richtig Spaß haben“, sagt er. Daraus wurde nichts. Jetzt will er allen Mut machen, sagen, dass er hier wieder so etwas wie Hoffnung geschöpft hat.

Dorothee Krumpipe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen