: Sie sind genauso entsetzt wie wir
■ Nach dem Terror in New York und Washington: Muslime in Bremen / Von den Medien werden sie vorverurteilt, aber auch sie beten für die Toten / Keine uneingeschränkte Solidarität mit USA
Ist der Tod ein wohlschmeckendes süßes Bonbon? Oder ein bitterer Tag? Er ist so, wie du ihn dir vorstellst.
Aus: Was ist Islam?, Handbuch Fatih Moschee
Auch Ahmed Emim hat nicht gut geschlafen. Auch er hat entsetzt Fernsehen geschaut. Und auch er hat für die Opfer der Attentate in New York und Washington gebetet. „Im Koran steht: Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Welt“, sagt das Mitglied der Fatih-Gemeinde in Gröpelingen.
Ginge es nach den Vorverurteilungen einiger Medien, könnte Emim, seit 31 Jahren in Deutschland, in Gedanken glatt Mittäter, im Geiste einer der Kamikaze-Flieger sein. Die Fatih-Moschee, die größte Norddeutschlands, soll nämlich ein Zentrum der angeblich besonders fundamentalistischen Mitglieder der islamistischen Milli Görüs sein. Diese Vereinigung mit 900 Mitgliedern in Bremen wird vom Verfassungsschutz überwacht, weil sie antidemokratisch und extremistisch sein soll.
„Das ist ein Verbrechen an der gesamten Menschheit“
In den USA haben bereits die ersten muslimischen Schulen Bombendrohungen erhalten. Und auch für viele deutsche Medien scheint klar: Islamische Extremisten waren die Mörder tausender Unschuldiger. Klar muss jedoch auch sein: Die wörtliche Übersetzung des Wortes „Islam“ heißt „Frieden machen“ – eine riesige Mehrheit der in Deutschland und in Bremen lebenden Muslime verurteilen das sinnlose Töten zutiefst – genau wie wir.
„Das ist ein Verbrechen an der gesamten Menschheit. Diese schreckliche Tat ist mit nichts zu rechtfertigen“, schreibt die Islamische Förderation, der größte Dachverband muslimischer MigratInnen in Bremen. „Wir trauern und empfinden mit den Angehörigen der Opfer und erbitten für sie Trost und Frieden“, betont die Bremer Zweigstelle des Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland. Emim ist bestimmt kein großer Freund der USA: „Ja, die Amerikaner haben den Irak bombardiert“, sagt er. „Aber Leute, die so viele Unschuldige sinnlos ermorden, gibt es im Islam einfach nicht.“
Sie seufzen gen Mekka, beten für die Toten in den USA
Es ist Zeit fürs Mittagsgebet. Gerade haben sie noch Tee getrunken, CNN geschaut und heftig diskutiert, jetzt versammeln sich rund 40 Männer im Kuppelsaal der Fatih-Moschee. Sie seufzen gen Mekka und beten für die Toten vom Dienstag. „Mein Herz tut weh“, sagt einer nachher. „Wer hat das bloss getan? Gott soll ihn strafen, die Opfer gehören ins Paradies“, klagt ein anderer.
„Warum verdächtigen sie ausgerechnet uns?“
„Die USA haben viele Feinde. Warum verdächtigen sie ausgerechnet uns?“, fragt Salam El-Zein, Händler im „Selam Market“ in der Lindenhofstraße. Auch hier, im islamischen Mikrokosmos mitten in Gröpelingen, sind die Meinungen geteilt. Ob im türkischen Reisebüro, im libanesischen Imbiss oder in der Moschee: Alle haben Mitgefühl mit den Opfern, sind aber nicht unbedingt für „uneingeschränkte Solidarität mit den USA“
Natürlich sei das Geschehene „unmenschlich“, meint der Händler El-Zein. Aber: „In meiner Heimatstadt Beirut wird seit Jahren gemordet – und niemand regt sich so auf wie jetzt.“
„Ein paar Verrückte haben tatsächlich geklatscht“
Ein slawischer Muslim stimmt ihm zu: „Im Krieg hat bislang nur einer gelitten – und das sind die Palästinenser. Solange sie leiden und alle Welt wegschaut, wird das Morden weitergehen.“ Ein paar Schritte weiter im Café des Sportvereins „KSV Vatan Spor“ spielen Mustafa und Hussein Taula, ein Brettspiel. „Da haben tatsächlich ein paar verrückte Palästinenser vor Freude geklatscht“, meint Mustafa, ein Busfahrer aus derTürkei. „Die kannst du nicht mehr zu Allah zurückholen“, entgegnet Hussein, ein Rentner. „Ich glaube nicht, dass das Muslime waren,“ sagt Mustafa. Er denkt nach: „Und wenn doch? Überleg mal, woher der ganze Hass kommt: Viele finden die Amerikaner eingebildet. Sie mögen nicht, dass sie die Welt regieren.“ Hussein: „Irgendwie sind das alles keine guten Menschen.“ Kai Schöneberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen