„Die gesamte Verteidigungsstrategie wird sich verändern“

Der israelische Terrorismusexperte Eli Karmon über mögliche Hintermänner der Anschläge in den USA und deren Konsequenzen für den israelisch-palästinensischen Konflikt

Ich bin sicher, dass ein Teilder moderateren Palästinenserverstehen wird, dass hierGrenzen überschritten wurden

taz: In Israel wird kaum über die Möglichkeit einer palästinensischen Mittäterschaft bei den Anschlägen in den USA gesprochen. Wieso ist man sich so sicher?

Eli Karmon: Im Moment gilt Ussama Bin Laden als der Hauptverdächtige. Das heißt nicht, dass nicht auch Palästinenser an den Attentaten beteiligt waren. Zur Erinnerung: Hinter dem Anschlag auf das World Trade Center 1993 steckte eine multinationale Gruppe unter der Führung von Omer Abd-el Rahman, der heute im Gefängnis sitzt. Mit dabei war damals der Palästinenser Ramsi Jussef, der Jahre später den Papst angriff. In Unterlagen, die bei Jussef gefunden wurden, ist bereits die Rede von einem Plan, zwölf amerikanische Flugzeuge zu entführen und in der Luft zur Explosion zu bringen. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob Palästinenser beteiligt waren. Aber ausschließen können wir es nicht.

Glauben Sie, dass die aktuelle Krise zwischen Israel und den Palästinensern den Boden für die Attentate in den USA ebnete?

Ich glaube, dass Bin Laden dahinter steckt oder die Gruppe von Abd-el Rahman, die im Übrigen bereits damit drohten, amerikanische Ziele anzugreifen, sollte er nicht aus dem Gefängnis entlassen werden. Bin Laden agiert seit 1992 gegen die Amerikaner. Sein erstes Ziel ist die Beendigung der amerikanischen Truppenstationierung am Golf und in Saudi-Arabien. Die Anwesenheit der Amerikaner auf arabischen Boden in unmittelbarer Nähe zu heiligen islamischen Stätten wie Mekka und Medina ist ihm ein Dorn im Auge. Das ist sein zentrales Thema.

Danach kommt seine Solidarität mit dem irakischen Volk, und das dritte Thema ist seine Unterstützung des islamischen Kampfes gegen die Christen. Das war in Bosnien der Fall, in Kosovo und anschließend solidarisierte er sich auch mit den Tschetschenen. Die Palästinenser kommen an vierter Stelle. Erst im Verlauf der derzeitigen Intifada schrieb er auch die Befreiung Jerusalems und die Unterstützung der Palästinenser auf seine Liste, einfach weil es ihm passte, auf den fahrenden Zug der Intifada zu springen.

In der Regel bekennen sich die Bewegungen, die hinter den Terrorakten stehen, unmittelbar nach der Tat. Warum diesmal nicht?

Das stimmt nicht. Zu den meisten großen Attentaten, die gegen die Amerikaner in den 80er-Jahren zum Beispiel im Libanon verübt wurden und auch gegen uns bei dem Bombenattenat auf die jüdische Gemeinde in Buenos Aires 1994 hat sich die verantwortliche Organisation nicht bekannt. Auch die Palästinenser haben sich bei internationalen Attentaten nicht bekannt, wie die Fatach, die nie öffentlich zugegeben hat, hinter dem Schwarzen September zu stehen.

Welchen Sinn hat Terror, wenn man nicht weiß, wer dahinter steckt und was damit bezweckt wird?

In der Regel hinterlassen die Hintermänner von Attentaten genügend Hinweise darauf, dass ihre Anhänger und auch ihre Feinde verstehen, wer die Verantwortung trägt. Aber das ist natürlich kein ausreichender Beweis. Auch in Oklahoma richtete sich der Verdacht zunächst gegen islamische Fundamentalisten, und erst später kam heraus, dass amerikanische Rechtsextremisten dahinterstanden.

Welche Konsequenzen könnten die Attentate in den USA auf die Nahastkrise haben?

Die Konsequenzen werden zuallererst globaler Art sein. Die gesamte Verteidigungsstrategie wird sich verändern. Die USA betrachten die Attentate als Kriegserklärung und werden sehr scharf gegen jeden, der daran beteiligt ist, vorgehen. Die Nato wird sich dem anschließen. Russland und Indien sind von den gleichen ideologischen Bewegungen bedroht. Ich gehe davon aus, dass es eine völlige Neuordnung geben wird, um diesen Krieg, der ein Religionskrieg ist, zu führen.

Was unsere Region betrifft, bin ich sicher, dass ein Teil der moderateren Palästinenser verstehen wird, dass hier Grenzen überschritten wurden und dass es so nicht geht. Palästinenserpräsident Jassir Arafat verhält sich schon anders. Er hat bereits seine geplante Reise nach Damaskus abgesagt. Auf der anderen Seite werden Bewegungen wie die Hamas und der Dschihad in den Attentaten einen riesigen Erfolg sehen, ähnlich vielleicht die Hisbullah im Libanon. Möglich ist, dass sie sich diese Methoden zu eigen machen wollen. Vorläufig sind sie nicht in der Lage dazu.

In der vergangenen Nacht gab es erneut elf Tote bei israelischen Angriffen. Glaubt die Regierung in Jerusalem, nun eine freie Hand im Umgang mit möglichen Terroristen zu haben?

In gewisser Weise schon. Heute versteht die internationale Öffentlichkeit gut, mit wem wir es zu tun haben. Aber natürlich darf Israel nicht übertreiben, sondern muss Optionen offenhalten, um moderateren Elementen im Westjordanland und im Gaza-Streifen, die sich vielleicht schon gegen Arafat oder gegen die Hamas organisieren, eine Chance zu lassen. Trotz allem gibt es Palästinenser, die an die Zukunft denken.INTERVIEW: SUSANNE KNAUL