piwik no script img

„Ich informiere mich stundenlang schon“

Hunderte von Fernsehern im Promarkt zeigen die Bilder von dem Crash, und in der Kneipe gibt es keinen Fußball zu sehen. Libanesen hören schweigend Radio. Jemand meint, er würde gern alle Religionen verbieten: Drei Tage nach dem Terroranschlag kann man es manchmal einfach nicht mehr aushalten

von DETLEF KUHLBRODT

Komisch. Kurz bevor die Geschichte begann, hatte man noch mit der Playstation „Apokalypse“ gespielt, dies und das in die Luft gejagt, und dann schaltete man um und sah, wie das echte Flugzeug in den echten Turm krachte. LIVE. Und man war nicht mehr müde wie vorhin noch, sondern wahnsinnig aufgeregt, konnte nicht mehr sitzen bleiben und rief den Anrufbeantworter eines Freundes an, mach den Fernseher an, du wirst vielleicht begeistert sein, und dachte danach, was red ich eigentlich, bin ich denn völlig meschugge.

Stundenlang saß man dann mit Freunden vor dem Fernseher, gab unkontrolliertes Zeug über Erste und Dritte Welt von sich, konnte es dann wieder nicht aushalten, sitzen zu bleiben, und ging hinaus, in den Imbiss, in dem Libanesen arbeiten, tatsächlich mit der Vorstellung, die würden hier jetzt feiern. Die feierten nicht. Die standen und hörten gebannt und schweigend dem Radio zu. Man kam sich so deplatziert vor, als wenn man auf die Beerdigung eines entfernten Bekannten gegangen wäre und nun neben den Angehörigen stehen würde, deren Leben sich verändert, während man selber bald schon weitermachen würde wie gehabt.

Wir guckten ununterbrochen immer wieder diese Szenen, die uns aus Katastrophenfilmen vertraut waren, und man erwartete, dass noch viel mehr passiert, weil die Steigerung zur Dramaturgie eines Katastrophenfilms gehört. „Ein Albtraum wie aus einem Hollywoodfilm ist Wirklichkeit geworden“, sagte der Nachrichtensprecher, und die Inszenierung dieser Wirklichkeit unterschied sich nicht von einem denkbaren Mammutfilm über den Ausbruch des Dritten Weltkriegs etwa. Nur fehlten die Bilder von Toten und Verletzten.

In der „Abendschau“ hatte es Bilder aus dem Promarkt gegeben. Hunderte Fernseher nebeneinander mit den Bildern von dem Crash. Jemand sagte: „Ich informiere mich stundenlang schon“, jemand sagte „wie 89“ und dass die Welt sich nun ändern würde. Auf B1 gab es erst den „Brennpunkt: Terror – Die Welt in Angst“, dann „Tödlicher Terror“ (B1 Spezial). Ein paar Minuten kam einem das sehr komisch vor. Nach ein paar Stunden konnte man es nicht mehr ertragen, ging raus, vielleicht doch Champions League gucken.

In der Kneipe waren die Bilder von dem Anschlag auf der Großbildleinwand ohne Ton. Die paar Leute am Tresen schauten nur manchmal hin. „Champions League fällt wohl aus“, sagte man und kam sich pietätlos vor. Der Wirt antwortete, die Spiele seien abgesetzt worden. Dann ging man raus, rief einen Schalke-Fan an, der sagte, das Spiel sei super, und dann wieder zurück in die Kneipe, in der man auf Fußball drängte. „Wegen der aktuellen Ereignisse haben wir uns entschieden, auf die Kommentierung zu verzichten“, stand unter dem Spiel. Das Spiel war schlecht. Auf RTL sagte jemand: „Wir hätten uns einen anderen Rahmen für dieses Spiel gewünscht“ und es sei „ein ungewöhnlicher Fußballabend“ gewesen. In den anderen Programmen immer neue Kameraperspektiven. „Abgestürzt worden, muss es wohl heißen“, sagte ein Reporter. Eine Kollegin suchte vergeblich nach Jubelpersern. Die Erniedrigten und Beleidigten und die Mitglieder der hiesigen Jugendgang „Saddam 61“ werden Bin Laden nun noch mehr verehren, denkt man. Als Teenager hätte man sich vielleicht klammheimlich gefreut. Che Guevara hatte gefordert: „Schafft drei, vier, viele Vietnams“. C. sagt, sie sei gestern wieder an dem Bestattungsunternehmen „Möse“ vorbeigefahren. B. sagte: „Scheiße, dass sie den Bush nicht getroffen haben“, und: „Jede terroristische Intelligenz wird sich nun an diesem Anschlag messen lassen müssen.“

Am nächsten Tag sah man rührende Schalke-Fans, die fast heulten und sagten, sie hätten sich gar nicht an dem Spiel freuen können, „nun mal ganz abgesehen von dem Ergebnis“. Die Mittwochsspiele der Champions League fielen aus und Bayern-Manager Uli Hoeneß fand: „Jetzt sind erst wieder zwei, drei, vier Tage der Besinnlichkeit angebracht, und dann muss man wieder Fußball spielen.“ Ein Kollege schickte eine Mail. Er schrieb, dass er die Bilder von dem zweiten Jet, der in den Turm krachte, ästhetisch gefunden habe. „Noch nach dem fünfzigsten Mal sehe ich die Bilder gerne.“ Seine Frau findet das herzlos.

Später kam ein linker Freund und war nicht mehr so schockiert wie am Vortag. „Ich bin mittlerweile Fan von dem Attentat“, sagte er und dass er angewidert sei von der Berichterstattung, von der zelebrierten Betroffenheit, die doch nur Angst um die eigne Haut sei. Er meinte, dass sich die dritte Welt doch nicht anders wehren könne, als „mit solchen Sachen“. Viele Journalisten würden sicher so denken wie er, sich aber nicht trauen, das auch zu schreiben. Das würde das Über-Ich nicht zulassen.

Im Fernsehen rief Scholl-Latour das Ende der „Spaßgesellschaft“ aus. Früher lief man mit „No Fun“ auf der Lederjacke durch die Gegend. Dann konnte man sich die Katastrophe auch aus der Sicht einer Weltraumkamera angucken. Ein Bekannter schimpfte auf den Islam, den er gern verbieten würde, wie Juden- und Christentum auch, man konnte es nicht mehr hören.

Meine Schwester wird durch Job und Familie davor bewahrt, zuviel Anteil an der Sache zu nehmen, und weiß auch nicht so recht, wie sie das ihrer Tochter erklären soll. Wir sprachen über anderes. Meine Mutter hing am TV und sagte, sie sei ja früher auch verschüttet gewesen. Das sagt sie immer, wenn Katastrophen im Fernsehen sind. Am liebsten hätte man geantwortet, ach, das ist mir ja nun ganz neu.

Man ist immer noch schockiert und fühlt sich nicht berechtigt, betroffen zu sein. Oft spricht man mit Leuten, die Sätze sagen, die man gestern im Fernsehen gehört hatte, und antwortet mit Fernsehsätzen und will dann nichts mehr sagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen