„Wir wollen kein Kapagnensender sein“

CNN vertritt kein US-lastigen Positionen, sondern bemüht sich bei der Berichterstattung über „America under Attack“ um Zurückhaltung, sagt Tony Maddox von CNN International. Ein Gespräch über Zynismus und journalistische Unparteilichkeit nach der Live-Katastrophe von New York

Tony Maddox ist Senior Vice President von CNN International und war zuvor Nordirland-Korrespondent der BBC.

Die Bilder von der Katastrophe, ihre Wirkung, waren Teil der Terrorstrategie. Gibt es für Nachrichtensender wie CNN einen Ausweg aus dem Dilemma?

Nicht wirklich. Es ist ein Dilemma für uns alle, auch für Ihre Zeitung. Diese Leute wollen Publicity – und die bekommen sie auch. Wir haben im Nachrichtengeschäft natürlich auch eine ganze Reihe journalistischer Bedenken, aber unser erstes Ziel ist es, den Leuten die Story zu bringen. Und dies ist eine Story von riesigem Ausmaß. Da ist es absolut wichtig, dass wir die Nachricht und die Zusammenhänge klar darstellen. Der Wunsch der Terroristen nach Publicity kann uns nicht im Weg stehen, die Story zu erzählen.

„Das Bild ist zur Waffe geworden“, hat ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender gesagt. Sind die Bilder nicht so stark, dass die Zusammenhänge dahinter verschwinden müssen?

Nein. Als Journalisten haben wir klare professionelle Werte und Regeln, die alle Aspekte der Berichterstattung betreffen. Und die gelten bei kleinen Ereignissen genauso wie bei ganz großen Storys. Wir sollten uns nicht von der Brisanz einer Geschichte ablenken lassen. Brisanz ist natürlich auch ein wesentliches Element, sollte aber nicht die Grundregeln und -werte der Berichterstattung beeinflussen.

Manche sagen, es sei zynisch, dass die Kameras auf das brennende World Trade Center draufgehalten haben . . .

Nun, es ist eine News-Story. Und es ist die zentrale Aufgabe von Journalisten, auch über komplexe und heikle Ereignisses zu berichten. Es gibt ein Missverständnis in manchen Kreisen, dass Journalisten geradezu Appetit auf brisante Ereignisse hätten und sich dann mitreißen ließen. Das Gegenteil ist der Fall: Es war eine sehr schwierige Sache, vor allem für die Journalisten in New York – sie haben vielleicht Freudne und Verwandte, die betroffen sind. Ich glaube nicht, dass es schon mal ein Ereignis dieses Ausmaßes gab, das sich live im TV entfaltet hat. Unter solchen Bedingungen kommt es darauf an, mit Diziplin und so ruhig, wie man irgend kann, die Geschichte ans Publikum zu bringen.

Die persönliche Reaktion der CNN-Korrespondenten war sehr unterschiedlich – vom kühl-professionellen Aaron Brown in New York zu recht emotionalen Moderationen aus dem Newscenter in Atlanta.

Aaron Brown war hervorragend. Und die Leute, die für uns arbeiten, sind auch Menschen. Die Zuschauer erwarten von uns, dass wir ruhig und sachlich die Fakten berichten. Aber sie sind auch realistisch genug zu wissen, dass diese Ereignisse uns alle emotional berühren. Im Großen und Ganzen haben wir das ganz gut hinbekommen.

Welche professionellen Werte stehen bei der CNN-Berichterstattung ganz oben?

Wir sind der journalistischen Unparteilichkeit verpflichtet – und der live-Übertragung von breaking newslet’s get to this, let’s get it live, let’s get in on, let’s get it out to people. Wir liefern die Fakten, die Hintergründe – und überlassen es den Zuschauern, sich ihre Meinung zu bilden.

Wie passt denn die journalistische Unparteilichkeit zur kleine US-Flagge auf dem CNN-Bildschirm, die doch für einen Pro-US-Standpunkt steht?

CNN vertritt keine US-Position. Ich kenne keine Regierung der Welt, die sich nicht voll und ganz hinter die Vereinigten Staaten gestellt und Schock, Abscheu und Entsetzen deutlich gemacht hat. Das ist America under Attack – die USA fühlen sich ganz klar angegriffen, und die Flagge ist ein Weg, das zu zeigen. Ich würde mich davon nicht ablenken lassen. Wenn man sich anschaut, was wir berichtet haben, sieht man, dass wir sehr um Zurückhaltung bemüht waren. Wir wollen kein Kapagnensender sein.

Trotzdem ist die Berichterstattung sehr US-lastig.

Was die Inhalte, die Bilder angeht, da kann man verstehen, dass Zuschauer denken könnten, hier würde Patriotismus zur Schau gestellt. Doch was wir gezeigt haben, waren spontane Reaktion der Menschen in den USA. Es war ihre Antwort auf den Angriff – und daher gehört das klar zur Story. Wir dürfen nicht einzelne Facetten ausblenden, weil sie in bestimmten Kreisen missverstanden werden könnten.

INTERVIEW:
STEFFEN GRIMBERG