: Israel schottet sich ab
Die Palästinenser, die am Rande des Westjordanlands leben, befürchten, zwischen die Fronten zu geraten und vertrieben zu werden
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Anfang kommender Woche wird die israelische Armee erste Sperrzonen entlang der so genannten Grünen Linie zwischen Israel und den Palästinensergebieten einrichten. Das Sicherheitskabinett in Jerusalem genehmigte am Sonntagabend einen entsprechenden Antrag der Armee. Die Sperrzone darf – laut Gesetz – erst nach Ablauf einer Woche errichtet werden, um den Anwohnern Zeit für den Antrag auf Sondergenehmigungen zu lassen. Vorläufig ausgenommen sind bewohnte Regionen.
Die ersten Sicherheitszonen sollen in dem Grenzgebiet bei Tulkarem, das rund 15 Kilometer östlich von der israelischen Mittelmeerstadt Netanja entfernt liegt, errichtet werden. Über diesen Grenzabschnitt seien in der Vergangenheit palästinensische Selbstmordattentäter nach Israel gelangt, hieß es im Rundfunk.
Aharon Obadyan war gerade beim Einkaufen, als ihn eine Kugelsalve in den Rücken traf. In dem arabischen Dorf Baka, etwa zehn Kilometer nördlich von Tulkarem, sind Obst und Gemüse billiger als in Israel. Seit Beginn der Unruhen trauten sich nur noch wenige Israelis nach Baka, das unmittelbar an der Grünen Linie liegt, dort, wo bis zum Krieg von 1967 die Grenze zwischen Israel und Jordanien verlief.
„Seit dem Mord vor sechs Wochen kommen gar keine Israelis mehr her“, meint Moussa, der in seinem kleinen Laden Plastikplanen verkauft. Gleich nebenan ist eine Tankstelle und unmittelbar dahinter liegt der Grenzkontrollpunkt. Mindestens 20 Soldaten sind dort stationiert. Massive Betonklötze, Stacheldraht und Panzer versperren die Durchfahrt. „Im Moment dürfen nur noch Israelis hier durch“, sagt einer der Soldaten, die Helme und kugelsichere Westen tragen. „Israelis“ – das sind jüdische Siedler, denn hinter dem Kontrollpunkt beginnt das Palästinensergebiet. Baka al Gharbija ist der westliche, auf israelischem Land liegende Teil des Ortes. „Wer von hier aus nach Osten fährt, muss entweder ein kugelsicheres Fahrzeug haben oder er wird von dem Militär eskortiert“, meint der Soldat.
Obadyan wurde im westlichen Teil der Stadt erschossen. „Jeden Tag gibt es hier Probleme“, sagt Moussa und setzt Wasser auf, um Tee zu machen. „Ausgangssperren, Razzien.“ Natürlich wäre eine Teilung viel besser für beide Seiten. „Der Mord hat uns in Verruf gebracht. Besser eine klare Trennung als Krieg.“ Moussa droht der Räumungsbefehl, denn die Armee will nach dem Mord die ganze Straße dem Erdboden gleichmachen. Rund 30 Läden, die Tankstelle und Werkstätten stehen auf der Liste. Noch besteht Hoffnung, das Unglück abzuwenden. Die Leute wandten sich an ein israelisches Gericht. Moussa hat indes wenig Vertrauen in das Rechtssystem. „Sie werden versuchen, uns unter Druck zu setzen und vielleicht als Kollaborateure zu rekrutieren.“
Die Straße, die von westlicher Seite zum Kontrollpunkt führt, liegt bereits im palästinensischen Gebiet. Die Militärs haben die Grenze ein Stück nach Osten verlegt. Bunte Spielzeugläden, ein kleines Restaurant und ein Geschäft mit Gartenbedarf liegen an der weitläufigen Dorfstraße. „Wir sind einen langen Weg mit den Israelis gegangen“, sagt Ibrahim, einer von Moussas Nachbarn, die sich zum Tee einfinden. „Jetzt stehen wir an einer Kreuzung: Entweder wir trennen uns oder wir bekämpfen uns.“
Eine Militärzone würde auf der östlichen Seite der Grenze verlaufen. Die Rede ist von einigen hundert Metern bis zu mehreren Kilometern. „Hier liegen überall Dörfer an der Grenze. Wollen sie uns alle davonjagen?“, fragt Moussa. Der Begriff Sicherheitszone weckt bei den Männern Assoziationen an den Südlibanon. „Wir wollen nicht zwischen die Fronten geraten“, meint Ibrahim, der jahrelang in Israel gearbeitet hat und „viele jüdische Freunde“ hatte. Inzwischen „frisst einer den anderen“.
Wer bei dem Konflikt tatsächlich zwischen die Fronten gerät, sind die israelischen Araber. „Wir wissen nicht, was wir über eine Teilung denken sollten“, hält sich der arabische Tankwart an der Straße, die von Baka entlang der Grünen Linie bis nach Tulkarem führt, aus der Sache heraus. Die Fensterfront im Restaurant an der Tankstelle gibt den Blick frei auf Grüne Linie, die nur für Leute aus der Umgebung erkennbar ist. Keine Markierung deutet darauf, dass hier eines Tages die Staatsgrenze zwischen Israel und Palästina verlaufen soll.
Das palästinensische Dorf Saita und der israelische Kibbuz Magal sind nur durch die Straße voneinander getrennt. Vor drei Wochen starb ein israelischer Händler, der seine Ware umlud, durch Schüsse, die von Saita aus abgegeben wurden. „Wir haben hier auch schon Schüsse abbekommen“, sagt Kibbuzsekretär Amir Granat und deutet auf zwei Basketballfelder, die direkt hinter dem Eingangstor des Kibbuz liegen. „Wir wollen nicht hinter einer Mauer leben, und wir wollen nicht, dass die Palästinenser hinter einer Mauer leben müssen.“ Aber ein Zaun wäre angemessen. Eine Grenze würde auch für die Palästinenser, die dahinter ihren Staat gründen können, eine Verbesserung bedeuten.
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