Aufmarsch am Khyberpass

Zehntausende afghanische und pakistanische Soldaten an der gemeinsamen Grenze zusammengezogen. Pakistan droht Taliban mit US-Angriff zum Wochenende, wenn sie Bin Laden nicht ausliefern. Hunderttausend Afghanen auf der Flucht

ISLAMABAD/KABUL rtr/afp/taz ■ Eine Woche nach den Terroranschlägen auf die USA bereitet sich Afghanistan auf einen US-Vergeltungsangriff vor. Die Taliban-Führung in Kabul ordnete gestern die Schließung des Luftraums an und schickte nach pakistanischen Angaben 20.000 bis 25.000 Soldaten, ausgerüstet mit modernen Waffen wie russischen Scud-Raketen, an die pakistanische Grenze. Taliban-Informationsminister Kadratullah Dschamal erklärte, alle Militärstützpunkte und Flughäfen seien zusätzlich befestigt worden.

Pakistan verstärkte ebenfalls seine Truppen auf seiner Seite des Khyberpasses an der gemeinsamen Grenze. „Wir sind darauf vorbereitet, unser Mutterland zu verteidigen“, sagte der pakistanische Armeekapitän Abid Bahtti. Die Situation ähnele einem „unerklärten“ Krieg. In Erfüllung eines Wunsches der USA riegelte Pakistan die Grenze weitgehend ab. Außerdem wurden die Bankkonten von 300 Afghanen eingefroren, darunter führende Taliban.

An Afghanistans Nordgrenze zu Tadschikistan wurden die russischen Truppen in Alarmbereitschaft versetzt. In Japan liefen der mit Lenkwaffen ausgestattete US-Kreuzer „Vinciness“ und der Zerstörer „Curtis Wilbur“ aus.

Parallel zum militärischen Aufmarsch reiste eine pakistanische Regierungsdelegation in die afghanische Stadt Kandahar und forderte in Verhandlungen mit den Taliban die Auslieferung von Ussama Bin Laden, der von den USA als Drahtzieher der Terroranschläge verdächtigt wird. Es gebe zwar kein Ultimatum, hieß es, aber andernfalls müsse Afghanistan zum Wochenende mit einem US-Vergeltungsangriff rechnen. Geleitet wurde die Delegation vom stellvertretenden Geheimdienstchef, Generalmajor Faiz Gilani. Der pakistanische Geheimdienst ISI soll Mitte der 90er-Jahre an der Gründung der Taliban mitgewirkt haben.

Der Radiosender der Taliban meldete anschließend, über die Auslieferung Bin Ladens an die USA solle ein Gremium hoher Geistlicher entscheiden. Taliban-Führer Mullah Omar rief Radio Shariat zufolge den Großrat der islamischen Geistlichen zusammen. Zuvor hatten pakistanische Vertreter erklärt, über eine Auslieferung Bin Ladens sei nicht gesprochen worden.

Aus tadschikischen Militärkreisen verlautete, die Taliban versuchten, Bin Laden im Land in Sicherheit zu bringen. Die pakistanische Zeitung The News berichtete, Bin Laden und seine große Familie seien aus Kandahar aufs Land gebracht worden. Sämtliche Araber hätten Kandahar verlassen. Nach UN-Angaben sind 100.000 Zivilisten in Erwartung eines US-Angriffs aus Kandahar geflohen. Die USA haben Luftlandetruppen und Eliteeinheiten angewiesen, sich für eine Verlegung bereitzuhalten, ihre persönlichen Dinge zu ordnen und weitere Befehle abzuwarten. Die Anordnung folgt der Aufforderung von US-Präsident Bush, dass jeder, der eine Uniform trägt, sich auf Vergeltungsschläge gegen die Urheber der Terroranschläge vorbereiten solle. D.J.