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Symbolik gegen den Terror

Mit Kondolenzbesuchen und Sondertreffen demonstrieren die Europäer nach den Anschlägen in den USA ihre Solidarität mit Washington. Doch bis daraus handfeste Politik wird, kann es noch dauern

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Kurz nach dem französischen Staatspräsidenten und dem deutschen Außenminister hat sich gestern auch die so genannte EU-Troika auf den Weg nach Washington gemacht. Außenkommissar Chris Patten, der belgische Außenminister Louis Michel und Javier Solana, der außenpolitische Repräsentant der EU, statten US-Außenminister Powell einen Kondolenzbesuch ab. Es geht, wie Solana gestern vor dem Europaparlament noch einmal betonte, auch darum, die von amerikanischer Seite in den 40er-Jahren erfahrene Solidarität zurückzugeben.

Schweigeminuten und Stipvisiten in Manhatten Süd als Dankeschön für Care-Pakete und Präsidentenreisen an die Berliner Mauer – Europa hat sich nach dem ersten Schrecken entschlossen, vor allem mit Symbolik auf die Ereignisse zu reagieren. Auch die Serie von Sondertreffen, die vergangenen Freitag mit einem Verkehrsrat zur Luftsicherheit begann und morgen mit einem Sondergipfel der Staatschefs in Brüssel fortgesetzt wird, soll hauptsächlich Bilder der Entschlossenheit produzieren.

Denn für Taten braucht es in einem Europa der einzelstaatlichen Demokratien mehr Zeit. Zwar wird sich heute ein Sonderrat der Innen- und Justizminister mit Kommissionsvorschlägen befassen, wie ein in der ganzen EU vollstreckbarer Haftbefehl für Terroristen, Menschenschmuggler und Mitglieder von Drogenbanden aussehen soll und wie Strafmaß und Kriterien für terroristische Akte EU-weit vereinheitlicht werden können. Die entsprechenden Richtlinien-Entwürfe aber standen auch vor den Anschlägen in den USA bereits auf der Tagesordnung.

Bis daraus Rechtsvorschriften werden, die jeweils innenpolitisch so abgeklärt sind, dass alle EU-Mitglieder zustimmen können und bis das Europaparlament angehört worden ist, wird mindestens ein Jahr vergehen.

Auch der beschleunigte Aufbau der 60.000 Soldaten umfassenden Krisenreaktionstruppe der EU hat mehr symbolische Bedeutung. Der Vorsitzende des Außenministerrats, der Belgier Louis Michel, hat vor seiner Abreise nach Washington gesagt, die EU brauche „eine militärische Kapazität, um den Frieden zu bewahren. Die freie Welt muss sich mobilisieren.“ Auch der Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments, der konservative Abgeordnete Elmar Brok, glaubt, dass man „konzentrierter daran arbeiten wird, eigene Fähigkeiten aufzubauen“.

Der nun möglicherweise drohende „Bündnisfall“ bleibt davon unberührt. Selbst wenn es die EU-Truppe schon gäbe, könnten die Soldaten jeden Landes nur nach den dort geltenden Spielregeln in Marsch gesetzt werden. Über den Einsatz deutscher Soldaten entscheidet auch in der EU-Truppe der deutsche Bundestag. Allenfalls die Türkei könnte jetzt ihre Haltung überdenken. Sie hat bislang ihr Veto dagegen eingelegt, dass die EU-Truppe auf Nato-Ausrüstung zurückgreifen kann. Ankara will damit Zugeständnisse in der Zypernfrage durchsetzen.

Mittlerweile überwiegen in Brüssel die Stimmen, die vor Law-and-Order-Überreaktionen warnen. Keinesfalls dürften freiheitliche Grundwerte geopfert werden. Politiker erinnern daran, dass Armutsbekämpfung die beste Terrorprophylaxe sei. Bei einer Tagung des Europaparlaments mit Kollegen aus den Balkanstaaten zeichnete sich ab, dass viele Integration für ein gutes Rezept halten. Auch Erweiterungskommissar Günter Verheugen sagte am Montag in Vilnius, er halte für wahrscheinlich, dass die Beitrittsverhandlungen nun beschleunigt würden.

Natürlich verschiebt diese Umarmungsstrategie die Armutsgrenzen lediglich um ein Stück. Die vom deutschen Innenminister an die Wand gemalte Verschmelzung von Polizeiaufgaben und militärischen Einsätzen könnte auch für die neue EU-Krisentruppe bedeutsam werden. Und der EU-Feldzug gegen Menschenschmuggler, Drogenhändler und Terroristen könnte sich schnell auch gegen Demonstranten wenden, die mit dem „Black Block“ in Verbindung gebracht werden. Wenn Berlusconi den ersten europäischen Haftbefehl aus der Tasche zieht, um von Deutschland die Auslieferung tatverdächtiger deutscher Demonstranten zu verlangen, wird deutlich werden, welche Folgen der 11. September für Europas politische Kultur haben kann.

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