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DIE US-REGIERUNG AGIERT BISLANG UNERWARTET DURCHDACHTGeorge W. Bush verdient ein Lob – noch

Es ist an der Zeit, ungläubiges Erstaunen festzuhalten: Anders als wohl von den meisten erwartet, hat die US-Regierung nach den Terroranschlägen bislang durchdacht reagiert. Im Gegensatz zum Unilateralismus der ersten Monate Bushs haben die USA nicht einfach irgendwo zugeschlagen. Es gab keine blindwütigen Attacken wie noch unter Clinton 1998. Selbst die gerade von dieser US-Regierung nicht sonderlich geliebte UNO wurde konsultiert – ebenso wie die Nato und bislang eher wenig geschätzte Staaten wie China und Russland sowie Länder der arabischen Welt.

Diese Umsicht ist allerdings nicht ohne Grund: Wenn sich die US-Regierung nicht innen- und außenpolitisch bloßstellen will, muss ein eventueller Militärschlag zum Erfolg werden. Dies erfordert mehr Zeit für praktische Vorbereitung und diplomatische Absicherung als ein einmaliger Angriff mit ein paar Mittelstreckenraketen.

Die US-Regierung hat es verstanden, die Bilder vom 11. September in politisches Kapital umzumünzen. Zweierlei hat dabei geholfen: Zum einen der echte Reflex der Betroffenheit und Solidarität – vor allem im Westen. Zum anderen aber fürchten die meisten Länder eher eine unkontrollierbare Reaktion der Supermacht als weitere Terroranschläge. Die Erklärung bedingungsloser Solidarität mit den USA schien ein gutes, vielleicht gar das einzige Rezept zu sein, um dem Zorn aus Washington zu entgehen – selbst wenn manche Regierungen, allen voran die pakistanische, dabei in ernste innenpolitische Schwierigkeiten geraten könnten.

Man muss es zugestehen: Das außenpolitische Team der Bush-Regierung verhält sich sehr, sehr klug. Obwohl die Fernsehbilder aus den USA so wirken, als ob sich das Land seit den Anschlägen mehr denn je auf sich selbst beziehe, scheint die Bush-Regierung endlich in der Lage, sich in die politische Problematik anderer Länder hineinzudenken, die Bedenken der Verbündeten ernst zu nehmen und ihre Strategie darauf abzustimmen. Vorerst geschieht das – etwa im Umgang mit Pakistan – als Absicherung der eigenen militärischen Pläne. Und doch gibt es Anlass zu der Hoffnung, dass die USA ihre Sicherheit längerfristig nicht mehr ausschließlich als militärisches Problem definieren.

Es liegt auch an den europäischen Verbündeten, auf die US-Regierung Einfluss zu nehmen. Gerade die „bedingungslose Solidarität“ sollte ermöglichen, eine veränderte US-Außenpolitik zu fordern – vor allem im Nahen Osten. Das verlangt allerdings europäisches Selbstbewusstsein, das den USA taktvoll in Erinnerung ruft, dass es für die Anschläge des 11. September keine Rechtfertigung, aber Ursachen gibt.

Allerdings muss die US-Regierung auch die Stimmung zu Hause bedenken. Wer dort auf sofortige Vergeltung drängt, muss sich vorerst mit der plumpen Brachialrhetorik des Präsidenten zufrieden geben. Dieses Hinhalten hat bislang funktioniert. Die Wortwahl des minderbemittelten Präsidenten – „Kreuzzug“ – birgt zwar eigene Gefahren. Doch ist ein donnernder Bush mit einem bedacht agierenden Kriegskabinett allemal besser als vorschnelle wütende Bombardements.

Es erscheint gewagt, die Bush-Regierung zu früh zu loben. Wer aber Einfluss auf die Ereignisse der nächsten Tage nehmen will, muss die USA in ihrem abgewogenen Handeln bestärken. Auch die Friedensbewegung. BERND PICKERT

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