: Bin Laden darf gehen
Afghanische Religionsgelehrte spielen auf Zeit: Nach zweitägiger Beratung fordern sie Ussama Bin Laden auf, Afghanistan freiwillig zu verlassen. US-Präsident George Bush besteht weiterhin auf Auslieferung des mutmaßlichen Terroristen
KABUL/BERLIN rtr/dpa/taz ■ Der Rat islamischer Religionsgelehrter hat gestern in der afghanischen Hauptstadt der Taliban-Regierung empfohlen, dem mutmaßlichen Terroristen Ussama bin Laden nahe zu legen, das Land zu verlassen. Das berichtet die in Pakistan ansässige afghanische Nachrichtenagentur AIP.
Die Gelehrten kündigten nach zweitägigen Beratungen in einer Fatwa auch einen heiligen Krieg gegen alle an, die mögliche US-Angriffe auf Afghanistan unterstützten. Sie bedauerten den Verlust von Menschenleben bei den Terroranschlägen in den USA und forderten eine unabhängige Untersuchung durch die UNO und die Organisation Islamischer Staaten (OIC). Der tausendköpfige Rat war vom radikalislamischen Taliban-Regime zur Beratung über das Schicksal seines Gastes Bin Laden einberufen worden.
Das US-Präsidialamt teilte gestern mit, die Beschlüsse erfüllten nicht die Forderungen der USA. Es gehe nicht darum, „dass Bin Laden von einem sicheren Hafen in den nächsten reise“. Jetzt zählten Taten und nicht Worte. Die US-Regierung macht Bin Laden für die Anschläge in New York und Washington in der vergangenen Woche verantwortlich und hat allen Staaten mit Vergeltung gedroht, die Terroristen Schutz bieten. Gefordert wird auch die Schließung von Ausbildungslagern für Terroristen in Afghanistan.
Ein Sprecher der Taliban-Gegner der Nordallianz, die noch rund fünf Prozent Afghanistans kontrollieren, bezeichneten Bin Laden als Terroristen. Dieser Meinung seien auch die Religionsgelehrten in den von der Nordallianz kontrollierten Gebieten. Die Allianz hat den USA Unterstützung für einen möglichen Militärschlag angeboten.
Im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan nahmen gestern die Spannungen zu. Bei einer Demonstration riefen 5.000 Männer antiamerikanische Parolen und versicherten, sie seien bereit, Afghanistan zu verteidigen. Sie bestritten eine Beteiligung Bin Ladens an den Anschlägen in den USA. Am Vorabend hatte Pakistans Präsident und Militärmachthaber Pervez Musharraf den USA die Unterstützung seines Landes zugesagt.
US-Präsident George W. Bush wollte sich noch gestern Abend in einer Ansprache vor beiden Häusern des Kongresses zu den Hintermännern der beiden Anschläge äußern. Berater des Präsidenten sagten, er wolle die Amerikaner noch einmal darauf einstimmen, dass der Feldzug gegen den Terrorismus lang und nicht ohne Risiko für die Soldaten und die Zivilbevölkerung sein werde. Angaben über militärische Ziele oder den Zeitpunkt militärischer Aktionen werde Bush jedoch nicht machen.
Am Mittwoch hatten die USA begonnen, 100 Kampflugzeuge, Bomber und Begleitmaschinen zu Basen in der Golfregion zu verlegen. Die Marine entsandte einen zusätzlichen Flugzeugträger in die Region. Damit wären in der Mittelmeer- und Golfregion sowie im Indischen Ozean 500 Militärflugzeuge einsatzbereit.
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