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Ein mühsamer Weg zu Toleranz

Hoyerswerda revisited: Zehn Jahre nachdem Emmanuel A. in seinem Heim erst von Rassisten angegriffen und anschließend umgesiedelt wurde, kehrt er zurück – und stößt auf freundliche Worte, aber auch auf die üblichen Rechtfertigungen

aus Hoyerswerda HEIKE KLEFFNER

An die „Ausländer raus“ grölende Menschenmenge denkt Emmanuel A. nur noch selten. Zehn Jahre ist es her, dass rechte Skinheads unter dem Applaus von Nachbarn und Schaulustigen mit Flaschen, Steinen und Brandsätzen die Fenster des Plattenbaus einwarfen, in dem der Ghanaer mit rund 240 anderen Flüchtlingen untergebracht war.

Zum Jahrestag hat sich Emmanuel A. zu einem Besuch im sächsischen Hoyerswerda überreden lassen. Die Stadt ist geschrumpft – von damals 70.000 Einwohner auf 48.000, darunter immer noch nur 394 Nichtdeutsche. Ganze Wohnblöcke stehen leer, die Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent.

Als Emmanuel A. mit seinem Mittelklasseauto vor seinem ehemaligen Wohnheim in der Thomas-Münzer-Straße steht und lachend feststellt, dass zumindest die Fassade einen freundlicheren Anstrich bekommen hat, streifen den Mann neugierige Blicke. Ein Zwölfjähriger sagt, er kenne Schwarze nur aus dem Fernsehen. Zwei junge Männer stellen interessierte Fragen. 1991 waren sie zehn Jahre alt. Verständnis für die applaudierenden Nachbarn, von denen ihre Eltern ihnen erzählten, haben sie nicht: „Wir sind HipHopper, da ist es doch klar, dass wir nichts gegen Ausländer haben und Nazis ablehnen“, sagt einer von ihnen.

Wer heute in Hoyerswerda nach den Übergriffen fragt, hört Bedauern, sogar Entschuldigungen, aber immer wieder auch den Satz: „Wir konnten doch nichts tun. Die Drahtzieher kamen nicht von hier, sondern aus Leipzig und Hamburg.“ Eine These, die auch der jetzige Oberbürgermeister Horst-Dieter Brähmig vertritt. Der 62-jährige PDS-Mann regiert die Stadt seit 1994. Emmanuel A. begrüßt er mit einem freundlichen „Willkommen im schönen Hoyerswerda“ und dem Nachsatz: „Hier sind Sie ganz sicher.“

Zum zehnten Jahrestag der Übergriffe hat die Stadt eine „Aktionswoche für mehr Toleranz“ organisiert. Zu den Gästen gehören Sachsens Innenminister Klaus Hardraht (CDU) und Lea Rosh. Doch weder Ernesto Milice, der einzige mosambikanische Vertragsarbeiter, der in Hoyerwerda geblieben ist und dort mittlerweile ein Geschäft mit zwölf Angestellten betreibt, noch die ehemaligen Flüchtlinge sind eingeladen worden.

Brähmigs oberstes Anliegen ist es, das negative Image der „ersten ausländerfreien Stadt Deutschlands“ ein für allemal gerade zu rücken. „Hier gibt es kaum noch Rechte“, betont er. Eine Einschätzung, die auch der Verfassungsschutz teilt. Für ein paar linke Jugendliche stellt sich die Situation etwas anders dar. „Niemand rennt mehr mit Baseballschlägern durch die Straßen, aber das Potenzial ist noch da“, sagen sie und verweisen auf die Kameradschaft Hoyerswerda, die mit einem eigenen „Infotelefon Sachsen“ am Aufbau neonazistischer Strukturen arbeitet. Und sie erinnern an den langen Weg, den die Stadt im Umgang mit Rechtsextremismus zurück gelegt hat. Als im März 1993 der 23-jährige Mike Zerna bei einem Angriff von Rechtsextremisten auf ein Konzert linker Jugendlicher starb, „wurde das als Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Jugendbanden abgetan“.

„Wir hatten damals Angst um unser Leben“, erinnert sich der heute 45-jährige Emmanuel A. Schon vor den Ausschreitungen war das Leben für die Flüchtlinge ein Spießrutenlauf. Emmanuel A. zeigt auf seinen verkrüppelten Finger. Er ist eine bleibende Erinnerung an einen sonntäglichen Spaziergang zur Kirche, bei dem er von einer Gruppe Skinheads überfallen wurde.

Als Emmanuel A. mit den anderen Flüchtlingen aus Hoyerswerda verlegt wurde, begann eine Odyssee durch sächsische Kleinstädte. „Niemand hat uns gesagt, wohin wir gebracht werden“, erinnert er sich. „Mitten in der Nacht hielten die Busse dann vor einer Baracke am Waldrand von Meißen.“ Erst die Androhung eines Polizeieinsatzes konnte die rund 50 Flüchtlinge aus Ghana zum Aussteigen bewegen. Am nächsten Tag beschloss die Gruppe, sich auf eigene Faust nach Berlin durchzuschlagen. Eine Woche später flogen auch in Meißen Brandsätze.

Nach den Gesprächen findet Emmanuel A., der Besuch habe sich gelohnt. „Ich wollte sehen, dass sich etwas in den Herzen der Menschen verändert hat.“ Er ist froh, als ihm Bürgermeister Brähmig versichert, Szenen wie 1991 dürften nie wieder passieren, und ihn einlädt, wieder zu kommen. „Rassismus kann man nur durch Bildungsarbeit begegnen“, sagt er und nimmt das Angebot an. Dann steigt er ins Auto und fährt gen Westen. In die hessische Kleinstadt, in der er mitsamt seiner Familie lebt und als Karosseriebauer arbeitet.

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