: „Gefahr im Verzug“: Keine Diskussion
Staatsrechtler Isensee über das Zustimmungsrecht des Bundestags im Falle eines Bundeswehreinsatzes
taz: Herr Isensee, kann der Bundestag davon ausgehen, dass er in jedem Fall vor einer deutschen Beteiligung an US- oder Nato-Militärschlägen gefragt wird?
Josef Isensee: Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar 1994 erklärt, dass die Zustimmung des Bundestages „grundsätzlich“ vor dem Einsatz der Streitkräfte eingeholt werden muss. Bei „Gefahr im Verzug“ kann die Bundesregierung jedoch auch in eigener Verantwortung handeln. Sie muss den Bundestag dann umgehend informieren, und dieser könnte verlangen, dass die Streitkräfte zurückgerufen werden.
Was ist unter „Gefahr im Verzug“ zu verstehen?
Zunächst sind damit echte Eilfälle gemeint, wenn also eine Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr so schnell zu treffen ist, dass auf eine Beschlussfassung des Parlamentes nicht gewartet werden kann. Meiner Auffassung nach muss der Begriff „Gefahr im Verzug“ aber auch alle geheimhaltungsbedürftigen Fälle erfassen. Es macht keinen Sinn, eine Aktion, die den Gegner überraschen soll, vorher ausführlich im Parlament zu diskutieren.
Das ist aber eine sehr freie Auslegung. Sehen sie hierfür Anhaltspunkte im Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Im Karlsruher Urteil heißt es ausdrücklich, dass der Zustimmungsvorbehalt die „Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit“ Deutschlands nicht beeinträchtigen darf.
Gerade bei Bündnisaktivitäten steht der Bundestag dann aber vor vollendeten Tatsachen, wenn er erst nach Beginn der Aktion gefragt wird. Schon aus Loyalität gegenüber den Partnern, kann er die Bundeswehr dann kaum noch zurückzie- hen . . .
Die Loyalität gegenüber den Partnern erlaubt aber auch nicht, dass nur in Deutschland öffentlich über gemeinsame Militärpläne verhandelt wird.
Wäre die Bundeswehr dann noch ein „Parlamentsheer“, wie das Bundesverfassungsgericht damals erklärt hat?
Auch die Bundesregierung ist ein demokratisch legitimiertes Organ. Und das Verfassungsgericht hat den Primat in der Außenpolitik eindeutig bei der Bundesregierung belassen. Die Bundesregierung konzipiert – in Absprache mit den Bündnispartnern – die militärischen Maßnahmen und legt diese dem Bundestag vor. Das Parlament kann diese nicht mehr verändern, allenfalls ablehnen.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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