Hochburg Harburg

■ Tag danach in Harburg: 26,9 Prozent der WählerInnen gaben ihre Stimme Schill und sind trotzdem davon überzeugt, dass sich nichts ändern wird

Was für die Hamburger Politik eine kleine Revolution, war für die BewohnerInnen Harburgs kaum mehr als ein spannender Fernsehabend. Der ist vorbei, die Sonne scheint, und das Leben geht seinen Gang. „Nein, ändern wird sich nach dem Regierungswechsel bestimmt nichts“, sagt ein Mann und sieht aus, als fände er die Frage vollkommen absurd. „Die Politiker sind doch alle gleich.“ Dennoch haben in Harburg 26,9 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimme Ronald Schill gegeben. In dem Bezirk stellt seine Partei damit die zweitgrößte Fraktion im Parlament. Die CDU fiel hinter Schill zurück und kam nur auf 25,2 Prozent.

Gegenüber der Einkaufspassage „Marktkauf“ sitzen vier Männer mit ihrem Dosenbier auf der Bank. Politik interessiert ihn nicht, sagt ein Mittdreißigjähriger, obwohl er ein rotes Kopftuch mit Che Guevara-Emblem trägt, „das hab ich mir nur so gekauft, das hat nichts zu sagen“. Ein älteres Paar schlendert vorbei und blickt leicht angewidert Richtung Bank. Die beiden haben Schill gewählt, „natürlich“. Und die SPD, finden sie, hat selber schuld. Schill sei auch nicht „das Wahre, aber das ist Protest“. Schon lange, erzählt die Rentnerin, fahren sie und ihr Mann abends nicht mehr mit der Bahn in die Stadt, sie haben Angst. Richtig bedroht worden sind sie zwar noch nicht, „aber mal geschubst“, sagt sie auf Nachfrage, und er findet, „das reicht“. Ob sie jetzt, wo Schill wohl Innensenator wird, wieder Bahnfahren werden? Erstaunter Blick: „Nein.“

Schill-kritische Stimmen sind kaum zu hören. Einen Mann, der „als Christ“ seine Stimme der Partei Bibeltreuer Christen gegeben hat, erinnert Schill „zu sehr an die Braunen“, und ihm ist das „zu radikal“. Eine Verkäuferin findet das Wahlergebnis auch nicht gut, sie hat ein mulmiges Gefühl, aber begründen kann sie das nicht. ImÜbrigen erklärt sich im Bezirk kaum jemand Schills Wahlerfolg mit dessen Versprechen, sondern eher mit der Politik der jahrelang regierenden SPD. Deshalb ist auch niemand wirklich erstaunt, dass die Partei des Senkrechtstarters auf Anhieb die zweitstärkste Fraktion geworden ist. Das habe sich angebahnt, sagt ein 31-jähriger Student, der mit seinem Sohn vor der Einkaufspassage Fußball spielt. In Wil-helmsburg, Schill-Hochburg, habe die Regierung schließlich über Jahrzehnte Ausländer ghettoisiert, „dadurch entstehen Probleme“.

Lösen könne aber auch Schill die nicht, „die Wähler sind auf ihn reingefallen“. Als Innensenator werde er Polizisten losschicken, um Kriminelle zu schnappen. Und die könnten die Beamten zwar festnehmen. Was aus ihnen wird, entscheide dann aber das Gericht, nicht Schill. Und einen Polizeistaat könne der auch nicht etablieren, dafür sei die Opposition zu stark. Ändern, schlussfolgert auch dieser Student, wird sich nichts. Darauf aber hofft eine ältere Frau. Alles soll sich ändern, sagt sie, „zum Guten“. Dass Schill jetzt regieren wird, findet sie richtig, „das ist mal was anderes, mal gucken was der kann“.

Ein Mann, der auf sein Fahrrad gelehnt mit zwei Freunden plauscht, lässt sich zu einer anderen Einschätzung hinreißen. Selbst gewählt hat er nicht, „Politik ist mir egal“. Das Ergebnis aber, findet er, „ist eine Kriegserklärung an die gesamte zivilisierte Welt“. Elke Spanner