: Vater: Hauptsache arisch
■ Die „Nordwolle“ zeigt Dokumente über die SS-Aktion „Lebensborn“ zur Aufzucht arischer Kinder. Die tragen an der Erinnerung bis heute schwer
Else muss ein Schluderlieschen gewesen sein. Mürrisch während der Schwangerschaft, ständig wehklagend, und bei der Geburt ließ sie sich gehen. Stillen konnte und wollte sie ihr Kind auch nicht, wie es sich doch für eine deutsche Mutter gehörte. Nein, sie und ihr Balg entsprachen so gar nicht dem Ausleseprinzip der SS. Das bezeugt ein geheimer Erhebungsbogen mit dem die Aufzucht des „Lebensborns“ erfasst wurde. Was dann mit dem missratenen Kind geschah, ist nicht verzeichnet. Doch Dorothee Schmitz-Köster weiß: “Im besten Fall verloren diese Kinder die Vormundschaft durch den Lebensborn – oder sie wurden beseitigt.“
Eine Ausstellung in der Delmenhorster „Nordwolle“ zeigt mit „Deutsche Mutter, bist du bereit...“ Dokumente, die von der Bremer Journalistin für ihr gleichnamiges Buch zusammengetragen wurden. Die Kuratorin trat noch einmal dem leicht schlüpfrigen Gerücht entgegen, die „Lebensborn“-Heime seien eine arische Zuchtanstalt gewesen, in der sich SS-Männer mit BDM-Mädels paarten: “Es waren Heime zur Unterstützung kinderreicher Familien und lediger Mütter“, vorausgesetzt, die Eltern waren „arisch und erbgesund“.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Lebensbornheim „Friesland“, das nördlich von Bremen in der pompösen Landvilla „Hohehorst“ der Bremer Unternehmerfamilie Lahusen untergebracht war, 1884 Gründer der Nordwolle in Delmenhorst. Im der Rezession wurde die erst 1928 neu gebaute Villa für 60.000 Reichsmark an das „Rasse- und Siedlungshauptamt“ verkauft. Am 1. Mai 1937 öffnete sie als Lebensborn-Heim ihre Pforten, nach einem Jahr wurde das ers-te Kind geboren.
In der Ausstellung wird auch der muffige Alltag illustriert: Zu essen gab es Porridge, Sonnenblumenkerne, die Kinder bekamen Lebertran und Dunkelbier. Eine schlichte, schmale Liege als Geburtsbett, von wegen Hocke oder stehen ... hier wurde noch ordentlich geboren. Die “Deutsche Namensgebung“ wurde in Gruppen vorgenommen. Auf einem blumenbekränzten Altar stand ein Hitler-Bild, an den Seiten SSler mit Stahlhelm und Hakenkreuzstandarte. Vor dieser martialischen Inszenierung liegt auf blütenweißem Kissen ein verschrecktes Bündel Mensch. Heute wirken diese Männlichkeitsfantasmen lächerlich: Stahlhelme als Kindermädchen, Hitler als väterlicher Statthalter.
Die Heime aber waren auch ideologisch unterfütterte Aufzuchtstationen für „arisch reine“ außer- oder uneheliche Kinder, die nicht in die hierarchisierte Gesellschaft passten. Heinrich Himmler hatte 1935 die Gründung des „Lebensborn e.V.“ veranlasst, er kümmerte sich persönlich um Aufzucht und Pflege der SS-Schutzbefohlenen. „Ich bitte darauf zu achten, daß der Haferbrei den Müttern wirklich in der genügend schmackhaften Form gegeben wird“, dokumentiert ein Brief Himmlers vom 18. Dezember 1941. „Wegen des Preiselbeersaftes habe ich sofort an SS-Gruppenführer Pohl schreiben lassen“.
Hartmut M. aus Bremen steht vor den Kinderbildern vom Haus Friesland: Gruppenspeisung, ein blonder Junge auf einer Schaukel. Aus seiner Brusttasche zieht er ein Bündel und zerrt alte Schwarz-Weiß Aufnahmen heraus. Sie sind mit den Ausstellungsfotos identisch. „Das bin ich, dieser blonde Junge“. Er ist sichtlich angefasst. „Ich bin in Hamburg zur Welt gekommen. Meine Eltern waren nicht verheiratet.“ Er kam 1938 in den Lebensborn Friesland. 1941, als die Bombardements losgingen, holte ihn seine Großmutter raus und versteckte ihn bei seinem Onkel, der nicht den Familiennamen trug. Später wurde er von seiner Großmutter adoptiert, seine Mutter ist nun rechtlich seine Schwester. Warum? „Mein Vater war ein hohes Tier“. Die Identität der Väter des so umsorgten Nachwuchses wurde aus allen Unterlagen getilgt. Nur dass sie „arisch“ waren, wurde mit der formal anerkannten Vaterschaft belegt.
Diese Dokumente sind bürokratische Zeugen menschlicher Tragödien. Immer wieder fanden sich bei der Eröffnung kleine Gruppen im Gespräch vertieft, ehemalige Lebensborn-Kinder waren gekommen und berichteten im kleinen Kreis von ihrer verzweifelten Suche nach dem Vater, der Mutter, der Angst vor scheinbar dunklen Geheimnissen. Allenthalben schien die Angst vor möglicher Stigmatisierung durch, irgendwas mit SS-Leuten zu tun haben zu können. Die Trauer über den oft erst sehr spät aufgedeckten Lebensbetrug war spürbar. Marijke Gerwin
Bis zum 16. Dezember, Di-So 10 bis 17 Uhr, Am Turbinenhaus 10-12 auf dem Delmenhorster Nordwolle-Gelände
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen