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Zu wenig Beweise

Der 20-jährige Globalisierungskritiker Hannes H. wurde gestern in Göteborg aus der U-Haft entlassen. Urteil folgt

Nach zwei Prozesstagen und dreimonatiger Untersuchungshaft hat gestern das Oberlandesgericht Göteborg entschieden, den 20-jährigen Berliner Hannes H. wieder auf freien Fuß zu setzen. Das Urteil soll am 3. Oktober gesprochen werden.

Der Zivildienstleistende und aktive Gewerkschafter war Mitte Juni bei den Protesten gegen den EU-Gipfel in Göteborg verhaftet worden. Anfang August wurde er wegen schweren Landfriedensbruchs und Rädelsführerschaft in erster Instanz zu einer 15-monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil war damals breit kritisiert worden. Auch der Vorsitzende Richter hatte die Beweise nicht für ausreichend für eine Verurteilung gehalten, war aber von zwei Schöffen überstimmt worden.

Nachdem Hannes H. und sein Wahlverteidiger gegen das Urteil Berufung eingelegt hatten, wird der Prozess seit Montag vor dem Göteborger Oberlandesgericht neu verhandelt. Den Vorsitz hat wegen der „besonderen Bedeutung des Falls“ die Präsidentin des OLG übernommen. Auch von anderer Seite wird dem Berufungsverfahren besondere Aufmerksamkeit geschenkt: Unter den Prozessbesuchern waren neben dem deutschen Honorarkonsul in Göteborg auch ein Vertreter der Deutschen Botschaft und eine Delegation von Berliner Freunden des Angeklagten sowie unabhängige Prozessbeobachter anwesend. Die waren vor allem über die Anwesenheit von uniformierten und bewaffneten Polizeibeamten im Gerichtssaal irritiert. „Damit wird suggeriert, dass von dem Angeklagten angeblich eine Bedrohung ausgeht“, so Rechtsanwalt Johannes Honnecker, der den Prozess für den Republikanischen Anwaltsverein beobachtet. Honnecker kritisierte „weitere Abschreckungsmaßnahmen“ für mögliche Prozessbesucher, wie Ausweiskontrollen und die Tatsache, dass Polizisten zudem Kleidung und Haartracht der Besucherinnen notierten und alle filmten.

Trotz der drei Monate, die die Staatsanwaltschaft seit der Verhaftung von Hannes H. Zeit hatte, belastendes Material und Zeugen gegen ihn aufzufahren, bot die Beweisaufnahme auch in zweiter Instanz wenig Neues. Schemenhafte Personen auf verwackelten Videozusammenschnitten und die Aussage eines Zivilpolizisten sowie die DNA-Analyse eine Halstuches bildeten die Hauptelemente der Anklage. Der Beamte sagte aus, er habe bei den Krawallen einen vermummten Mann beobachtet, den er sieben Stunden später aus rund 100 Metern Entfernung wieder erkannt haben will und festnehmen ließ. Im Zeugenstand räumte der Polizist dann jedoch ein, dass er sich nicht mehr an das Gesicht der Person, sondern nur noch daran erinnern könne, dass es sich bei deren Kleidung um eine graue Kapuzenjacke und eine dunkle Hose gehandelt habe.

„Die Beweise reichen weder, um eine dreimonatige Untersuchungshaft, eine Anklage oder gar eine Verurteilung zu begründen“, so Prozessbeobachter Honnecker. Zu dieser Wertung sei nun offenbar auch das Gericht gekommen, indem es Hannes H.s Haftentlassung anordnete. Dessen Freude über „den Himmel nach 102 Tagen Isolationshaft“ wird nun durch die Ungewissheit getrübt, wie das Gericht am 3. Oktober urteilen wird. Als abschreckendes Beispiel gilt die Straferhöhung für zwei deutsche Demonstranten, die vor wenigen Wochen das Göteborger Oberlandesgericht zu jeweils zwei Jahren bzw. 20 Monaten Haft verurteilte. HEIKE KLEFFNER

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