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Die Kriegsbilder der Antipolitik

DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER

Das westliche Systemist im Begriff,die Strukturenpolitischen Handelnshinter sich zu lassen

„Es gibt eine Zweiklassen- Gesellschaft der Toten.“ Roger Willemsen bei „Bio“, 18. 9.

Die Terroristen des 11. September haben ein Bild produziert, das vorerst das Repertoire aller verfügbaren Bilder zerschlagen hat. „Die Amerikaner“, so der Politologe Herfried Münkler, „sind jetzt gezwungen, Überbietungsbilder herzustellen. Das führt zu einer ungeheuren Eskalationsgefahr.“ Allerdings sind die USA in einer schwierigen Situation – nicht nur weil sich die Berge Afghanistans oder das längst zertrümmerte Kabul für eine Ästhetik des Martialisch-Erhabenen nicht eignen. Die Zerstörungsbilder von New York sind politisch oder ästhetisch zurzeit nicht zu überbieten, weder von Hollywood noch vom Weißen Haus. Man kann sie nur als „Fotostrecke“ zum „ungeheuerlichsten Attentat der Menschheitsgeschichte“ (Spiegel-Online) klein machen, zur Strecke bringen durch Wiederholung, Replay als Heilmittel in der traumatisierten Medien-Society: So wird auch dieses Bild bald als Videoclip im Rauschen der Internetzivilisation verschwunden sein.

Die symbolische Anordnung des Anschlags vom 11. September war allzu offensichtlich, um nicht alsbald die Interpreten auf den Plan zu rufen und nach versteckten Botschaften suchen zu lassen. Die übelsten Exegeten mobilisieren derzeit im Internet mit einem Gebräu aus Mystik und Fälschung antisemitische Ressentiments gegen das „Weltjudentum“. Munkeln und Raunen grundieren allerdings auch seriösere Erklärungsmodelle. Hans Magnus Enzensberger – dem man beileibe keinen Hang zum Obskurantismus nachsagen kann, sehr wohl aber einen zur Vereinfachung – reduziert den globalen Horizont terroristischer Gewalt auf den gemeinsamen Nenner „Paranoia“ und „Logik der Selbstverstümmelung“. Jenen amerikanischen Intellektuellen, die sich derzeit entsetzt nach den Ursachen des Hasses fragen, der den USA entgegenschlägt, dürfte diese Antwort kaum genügen.

Alle Botschaften, alle Deutungen überstrahlte die weltweite Sichtbarkeit eines Angriffs, der aus dem Unsichtbaren kam: eine perverse Stellvertreter-Aktion aus den marginalisierten Zonen der Welt, ausgeführt von zur Selbstvernichtung entschlossenen Unbekannten – im Hintergrund ein getarnt operierendes, weltweit gefürchtetes „Netz“. Eine Attacke, die gleichermaßen der Machtzentrale wie dem Bild galt, das die Twin Towers auch waren: eine Ikone der Sichtbarkeit selbst, „reines Licht“, schon als Architektur eine visuelle Überwältigung und Hohn auf das abgedunkelte, von den Scheinwerfern der Medien gemiedene Elend der Welt. Nicht zuletzt kam dieser Angriff aus einer Sphäre dogmatisch verteidigter Stagnation – gegen die Zeitökonomie der Moderne, das Beschleunigungsfieber der Techno-Zivilisation, die in diesem Fall mit ihren eigenen Waffen überrumpelt wurde: mit Geld, Logistik und Technik.

Im Golfkrieg wurde klar: Politisch-militärische Herrschaft bedeutet Kommandogewalt über das Areal des Sichtbaren, über die Wahrnehmungsdispositive im globalen Maßstab. Der „Blitzkrieg“, den nach dem Verständnis des Pentagon die Terroristen entfesselt haben, ist ein Krieg um die Wahrnehmung und das Wahrgenommenwerden, um das Sichtfeld und um die Aufmerksamkeit der Welt. Unsichtbar bleiben die Toten – buchstäblich: die einen verschüttet unter den Trümmern des WTC, die anderen namenlos im alltäglichen Sterben in den Megacitys und den ländlichen Peripherien der Dritten Welt. Aber die Zweiklassengesellschaft der Toten bleibt intakt – und: „Die Welt zählt immer noch sehr viel mehr Menschen, die allein damit zu tun haben, ihr nacktes Leben zu erhalten, als Leute des Westens, die die Modernisierung der Welt vorantreiben.“ (Manfred Schneider)

Therapeuten und Technokraten der kollektiven Trauer haben jetzt Zulauf – und die apokalyptischen Reiter des manichäischen Weltbildes (Gut gegen Böse), flankiert von den Robotern der wehrhaften Demokratie mitsamt ihrer „nationalen Allianz der Entschlossenheit“. Die hoch komplexe westliche Zivilisation betreibt radikale Komplexitätsreduktion; aus ihrer tiefen „narzisstischen Kränkung“ (Peter Michalzik) regeneriert sie nun die ihr schon immer eigenen fundamentalistischen Energien. Nur wenig unterscheidet die Semantik Bushs oder Schröders vom Diskurs islamistischer Fanatiker und ihrer Rede vom „heiligen Krieg“.

Kriegsdiskurse sind zweischneidig, aber alle Versuche, den Begriff „Krieg“ aus dem Verkehr zu ziehen, um den Frieden zu retten, dürften fehlschlagen. Kriegsdiskurse betreiben die Militarisierung der Hirnströme und der Emotionen. Aber sie liefern auch „Orientierungsmuster“ (Münkler) und machen die Akteure erkennbar. Ein weiterer Vorteil: Wenn Bush von Krieg spricht, benennt in seiner Person die globalisierte Gesellschaft erstmals den von ihr geschaffenen Zustand. Sie spricht aus, dass sie zwischen entwickelten und unterentwickelten Gebieten eine Grenzlinie gezogen und eine unübersehbare Zahl lokaler oder regionaler Schlachtfelder hervorgebracht hat.

Noch bewegen wir uns in einer erkenntnistheoretischen Grauzone zwischen Begriff und Metapher, doch weist der Terminus „neuer Krieg“ in der Tat auf einen „logischen Extrempunkt“ (Christian Semler). Auf eine Bruchstelle, an der sich Krieg von Politik abkoppelt und aufhört, deren Fortsetzung mit anderen Mitteln zu sein. Sind die beeindruckenden diplomatischen Aktivitäten der Bush-Administration in diesen Tagen als Rückbesinnung auf das politische Instrumentarium zu verstehen – oder dienen sie nicht vielmehr der taktischen Absicherung eines von Tag zu Tag schriller angekündigten Militärschlags?

Wenn Bush von Kriegspricht, benennt die globalisierte Gesellschaft den von ihr geschaffenen Zustand

Politik ist abwesend: Dies gilt für beide Seiten. Globalisierung nach der Logik der Finanzströme ist der teils gewollte, teils von ökonomischer Dynamik besiegelte Abschied von Politik, ihr Begräbnis im Markt. So ist der Ruf nach „politischen Lösungen“ eher als Nachruf zu verstehen: Epilog auf eine Epoche, in der das Kapital Nationen und Kolonialreiche, Bündnisse und Verhandlungen, heiße und kalte Kriege benötigte, um sich weltweit durchzusetzen. Diese Epoche ist vorbei. Der sanfte Vorwurf, Politik „moderiere“ nur noch, heißt im Klartext: Ihre Funktion besteht darin, den Selbstlauf der Ökonomie und, wenn erforderlich, den der militärisch-industriellen Maschinerie zu interpretieren.

Und der „islamische Fundamentalismus“ (wenn wir ihn denn hinter den Anschlägen vermuten müssen)? Er ist per definitionem Nichtpolitik: Weltkonstruktion in einem ideologischen Feld, das sich dem Politischen kategorisch verweigert. Ein Fundamentalismus des Stillstands, der dem Fundamentalismus des grenzenlosen Wachstums die Vernichtung angekündigt hat. Vorläufiges Fazit: Im gegenwärtigen Konflikt, oberflächlich ein „clash of civilizations“, prallen zwei antipolitische Systeme aufeinander. Das eine steht dem Politischen wesensmäßig fern, das andere ist im Begriff, die Strukturen politischen Handelns hinter sich zu lassen. Ein „neuer Krieg“? Vorerst haben wir nichts als diese Metapher.

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