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Abgestraft für Arroganz

Die Hamburger Grünen haben die Sorgen der Bürger nicht ernst genommen – und die Wahl verloren. Die Grünen brauchen neue Konzepte für die Kriminalitätsbekämpfung

Wir dürfen nicht im schlechten SinneMilieupartei bleiben, die Partei der Pädagogen und Professoren

Die Hamburger Wahl ist ein Einschnitt in der Parlamentsgeschichte unserer Bundesländer. Denn zum ersten Mal erreicht der obskure Wahlverein eines Fanatikers aus dem Stand heraus nicht nur ein Fünftel der Wählerstimmen, sondern auch die Niederlage der bisherigen Landesregierung. Dieses Phänomen zieht internationale Aufmerksamkeit auf sich. Der britische Guardian warnt vor einer neuen Phase des Antiliberalismus in Europa; andere Kommentatoren stellen gar die Frage nach der Stabilität der Demokratie.

Und in der Tat: Zum ersten Mal seit der Nazizeit zieht eine Partei in die Hamburger Bürgerschaft ein, die Ängste, Hass, Rache- und Strafgelüste mobilisiert, deren manischer Führer mit Hinrichtungs- und Kastrationsfantasien hausieren ging und der fast das gesamte rechtsextreme Spektrum abgreift. Die eigentliche Ungeheuerlichkeit besteht aber nicht nur darin, dass dieser Haufen sofort auf 165.000 Stimmen kommt, sondern dass CDU und FDP keine Scheu haben, mit ihm zu koalieren.

Aber machen wir es uns nicht zu einfach. Unter den Schill-Wählern sind zweifellos Rechtsextremisten. Aber noch viel mehr Wähler anderer Parteien. Sogar einige grüne. Und vor allem Nichtwähler. Wir müssen uns eingestehen: Kriminalität war das Thema dieser Wahl, und die Innenpolitik des rot-grünen Senats hat sich als seine Achillesferse herausgestellt.

Schon 1997 erklärten 52 Prozent der Befragten in Hamburg, dass sie mit der Innenpolitik unzufrieden seien. Schill hat es zwar verstanden, sich in nur zehn Monaten auf die politische Bühne zu katapultieren. Aber der Frust und die politische Verstimmung, auf die er spekulierte, sind älter.

Doch trotz dieser Massenstimmung waren unsere grünen Debatten nicht primär von der Frage geleitet: Welche Missstände stören die Leute, und wie stellen wir sie ab? Sondern etwa von der Frage: Welche Maßnahmen des Senats schränken Bürgerrechte ein, welche ermächtigen die Polizei? Natürlich sind diese beiden letzten Fragen wichtig und berechtigt. Aber die erste auch! Heute müssen wir uns fragen, ob unsere Orientierung dabei nicht zu einseitig war.

Zu viele Hamburger – junge und alte – sind in den letzten Jahren durch eigene Erfahrung im öffentlichen Raum zu der Ansicht gelangt, dass der Staat seinen Verpflichtungen gegenüber dem Schutzanspruch des Bürgers nicht nachkam oder dass unter dem Auge des Gesetzes Straftaten begangen werden konnten. Das war Gift für das Rechtsbewusstsein, und dieses politische Versagen lässt Menschen verzweifeln, erzeugt Ohnmachtsgefühle und Resignation und ist dann der Nährboden für Rechtspopulisten. Vor allem entfremdet es die Menschen dem Gemeinwesen.

Nun hörte man am Wahlabend die hämische Bemerkung, unter den Schill-Wählern seien viele Hauptschüler. Flüchtet sich hier ein verzweifeltes linksliberales Milieu in Bildungsdünkel? Glaubt irgendjemand, die kommenden Wahlen mit Hochnäsigkeit gewinnen zu können? Sind wir nun für das allgemeine Wahlrecht – oder doch nicht so richtig?

Gewiss – es sind „einfache Menschen“, die auf Schills Versammlungen applaudierten. Wer sich die Schill-Hochburgen auf der Hamburgkarte ansieht, nimmt wahr, dass der Süden dieser Stadt schwarz geworden ist – genauso wie der Südosten. In den als unwirtlich geltenden Vierteln liegt diese Partei über zwanzig, oft über fünfundzwanzig Prozent. Sie sind den meisten von uns fern – geografisch, aber vor allem soziokulturell.

Genau das ist jedoch das Problem. Denn häufig werden wir Grünen als diejenigen wahrgenommen, die die Probleme leugnen, weil wir sie selber nicht mitbekommen, weil wir für uns persönlich ausgesorgt haben. Aber genauso, wie wir die soziale Segregation mit unserer Stadtentwicklungspolitik bekämpft haben, müssen wir die politische Segregation in unseren Köpfen bekämpfen. Diese Segregation besteht darin, Wählermilieus aus der eigenen Politik wegzudefinieren mit der Begründung, sie seien für uns nicht erreichbar. Wenn wir in diesem schlechten Sinne Milieupartei bleiben, die Partei der Pädagogen und Professoren, wird unser Verständnis für das, was sich im Schatten der Metropole zusammenbraut, nicht zunehmen, und am Ende fliegt uns dann die viel gepriesene Zivilgesellschaft um die Ohren.

Welche strategischen Konsequenzen müssen wir daraus ziehen? Wir können, nachdem sich unsere Innenpolitik als nicht mehr mehrheitsfähig erwiesen hat, nicht einfach so tun, als bestehe das Problem lediglich darin, dass die Leute aufgehetzt worden seien. Wir können nicht gegen Massenerfahrungen argumentieren, die sich zu der Meinung verdichtet haben, dass in dieser Stadt vieles nicht in Ordnung ist.

Selbst zartpfötige Schulpädagogen schütteln den Kopf, wenn sie hören, dass Mehrfachtäter im Wiederholungsfalle mit fortgesetzter Milde rechnen können. Die Hamburger Crash-Kids haben im Rückblick auf ihre traurige Karriere erklärt, es wäre vielleicht nicht so schlimm gekommen, wenn sie rechtzeitig die rote Karte gezeigt bekommen hätten. Sind wir denn an den Schulen nur deshalb unmenschlich, weil wir von Mal zu Mal mit stärkeren Sanktionen reagieren? Meine Schüler finden das gerecht. Und sie sind frei von Masochismus. Aber warum kann das, was die Pädagogik kann, die Justiz nicht? Das versteht einfach kein normaler Mensch.

Die Grünen haben bis heute ein riesiges, geradezu tödlichesTabu: dass auchRepression nötig ist

Die Grünen in Hamburg, aber auch auf Bundesebene, haben bis heute ein riesiges, für eine Regierungspartei geradezu tödliches Tabu. Nämlich das Tabu, dass auch Repression nötig ist. Wir sind ausgewichen. Wir wurden nach unmittelbarer Gefahrenabwehr gefragt und kamen dann häufig mit sozialpädagogischen Langzeitmaßnahmen. Und die Erläuterung dieser Maßnahmen dauerte dann oft so lange, dass die Zuhörer schon weiter gegangen waren. Wir sind, wenn wir regieren, für die Sicherheit aller Bürger dieser Stadt verantwortlich. Sie haben an uns einen Schutzanspruch. Doch unsere Innenpolitik zog sich immer wieder auf die Standardauskunft zurück, man dürfe nichts dramatisieren.

Aber hoch dramatisch war es, als gefährlich eingeschätzte Intensivtäter in einem offenen Heim stundenlang unbeaufsichtigt zu lassen, so dass sie losziehen konnten, um einen armen Kioskbesitzer zu ermorden. Das rot-grüne Konzept „Menschen statt Mauern“ lief darauf hinaus, dass am Ende weder Mauern noch Menschen da waren, und die zaghaften grünen Ermahnungen in Richtung SPD haben die Verantwortungslosigkeit einer unüberschaubaren Großbürokratie nicht wirklich beseitigt. Für diese Sorte Freiheit wollte die Stadt am Ende den Preis nicht mehr bezahlen. Innerhalb der GAL wurden seit Jahren angemeldete Bedenken unwirsch niedergetrampelt – mit CDU-Vergleichen oder mit alternativer Schwarzweißmalerei –, als ob es nur die Wahl zwischen Wegschließen und Therapieren gäbe und eine Kombination beider Maßnahmen unmöglich wäre.

Vielleicht kann es die Partei der kinderlosen 68er nicht genügend nachfühlen, wie schwer es Eltern fällt, ihren Kindern zu erklären, dass an der Sternschanze unter den Augen der Polizei Kokain verkauft wird („Mama, was machen die Leute da?“), ohne dass die Beamten einschreiten. Wie sollen wir im Angesicht solcher Rechtsstaatsschlamperei die kommende Generation zur Rechtstreue erziehen? Ich weiß natürlich, dass ich mit dieser Frage das Hohngelächter der ganzen Schanzenszene ernte, die romantisch vom Bürgerkrieg träumt, solange sie diesem politischen Luxus unter dem Schutz des staatlichen Gewaltmonopols in aller Ruhe nachgehen kann.

Bürger in Verantwortung können sich diesen Luxus nicht leisten. Sie wollen von der Effektivität der Innenpolitik überzeugt sein. Und sie mögen es nicht, wenn wir um den heißen Brei herumreden. Als ganz fatal hat sich letztlich die rhetorische Ausflucht erwiesen, der subjektiven Kriminalitätsangst entspreche objektiv oft keine reale Bedrohung. (So wurde etwa das Beispiel bemüht, Schill habe auf St. Pauli, wo es so viel Kriminalität gebe, nur relativ wenige Stimmen bekommen. Das ist so ähnlich, als würden wir sagen: Da die Leute in der Nähe vom AKW Krümmel weniger Angst vor Atomenergie haben als in Hamburg, ist die Atomenergie gar nicht so gefährlich wie die Hamburger glauben. Natürlich argumentieren wir nicht so, denn die Furcht vor der Atomenergie passt uns ins Programm.) Wenn von grüner Seite in der Öffentlichkeit versucht wurde, den Leuten ihre Ängste vor der Kriminalität auszureden, dann kam das nicht nur als Verharmlosung rüber, sondern vor allem als Schulmeisterei und Arroganz. Und genau diese Arroganz ist am letzten Sonntag in Hamburg abgewählt worden. KURT EDLER

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