piwik no script img

Gott ist ein Rohrverleger

Am nackten Arsch der schwulen Unterhaltungsindustrie: Jürgen Brünings Klamotte „West fickt Ost“ kreist in 60 geisttötenden Minuten um die tollen Tage und Nächte seiner willigen Protagonisten

von OLIVER KÖRNER VON GUSTORF

Tim Vinzent, „ gebürtiger Schweizer mit Riesendödel“, ist einer der Favoriten von Cazzo , des international profilierten Berliner Labels für schwule Pornofilme. Deren Gebote zum Mitmachen erfüllt er lässig: „Du solltest zwischen 18 und 38 Jahre alt sein, ein hübsches Gesicht haben oder eine gute Figur oder einen großen Schwanz oder alles zusammen.“ Tim ist einer der Hauptdarsteller in Jürgen Brünings „ West fickt Ost“.

Zwischen fiktiver Handlung und pseudo-dokumentarischen Szenen schildert dieser Spielfilm die Tage und Nächte von drei schwulen Protagonisten im Berlin von heute. Wie Tim (Daniel Bätscher) sind auch Erik (Hendrik Schneider) und Cyrus (Tarik Quazi) „Working Boys“ in der Szene und bewegen sich willig und mäßig bezahlt von Job zu Job. Sie arbeiten als Models, Börsenangestellte, Kellner, Call-Boys. Sie leben in den Tag hinein, beschäftigen sich mit Schwanzgrößen, probieren Toys im Sexshop aus oder plantschen gemeinsam in der Badewanne. Mal lassen sie sich schminken und fotografieren, dann lesen sich aus Inge Vietts Lebenserinnerungen vor, empfangen Freier, filmen sich gegenseitig und vergnügen sich kurz vor Filmende noch flott mit einer Wagenladung ostdeutscher Schwuler. Das Leben ist eine Baustelle und Gott kein DJ, sondern Rohrverleger.

Jürgen Brüning hat sich als Produzent von Dokumentarfilmen und Klassikern des schwulen Programmkinos wie Bruce La Bruces „Hustler White“ auch international einen Namen gemacht. Sein erster Spielfilm „West fickt Ost“ knüpft formal an die Vorbilder des schwulen amerikanischen Undergrounds an und verzichtet trotz expliziter sexueller Aufnahmen auf die sonst übliche ungeschnittene Hard-Core-Version für die kommerzielle Verwertung auf dem Pornomarkt. Das ist bedauerlich, denn die Darsteller agieren in den auf Video und grobkörnigem Filmmaterial gedrehten Handlungssequenzen so steif wie eine Viagra-Latte. Tatsächlich leiden sie ganz zeitgemäß an gar nichts mehr. Weder an Weisheiten wie „Nestle fickt Brasilien? Die Börse fickt mich“ noch an ihrem dämlichen Styling, den Goldrucksäckchen, Lackmäntelchen und Sonnenbrillen, die beim Oralverkehr mit Skinheads auf dem Oberdeck eines Busses an ihnen herunterbaumeln. Der Weg zum Ruhm ist steinig. Und die Anweisungen des Regisseurs müssen irgendwie denen des Fotografen im Film geähnelt haben: „Jetzt hampelt ihr erst mal ein bisschen rum, nachher wird das ein bisschen graziler. Ihr müsst jetzt nicht unbedingt alle immer genau dasselbe machen, was der andere macht. Die Flasche stecken wir auch noch in den Arsch.“

„West fickt Ost“ zeigt in 60 geisttötenden Minuten den Arsch der schwulen Unterhaltungsindustrie. Und der ist bei allen Versuchen, subversiv und poppig zu wirken, so flach ist wie das Brett, auf dem die Latexklamotten kommender Stars zusammengeschweißt werden.

„West fickt Ost“. Regie: Jürgen Brüning. Mit Daniel Bätscher, Hendrik Schneider. Deutschland 2001, 60 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen