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Immer mehr Boatpeople in Spanien

Spaniens Medien behaupten fälschlicherweise, seit den Terroranschlägen in den USA gehe die illegale Einwanderung aus Afrika „drastisch“ zurück. In Wahrheit nimmt die Migration weiter zu. Spanien will von Marokko Abschreckungsmaßnahmen

aus Madrid REINER WANDLER

Der Strom der Afrikaner, die ihr Glück in Europa suchen, reißt nicht ab. Im vergangenen Monat stieg die Zahl der illegalen Immigranten, die mit kleinen Booten, sogenannten pateras, die 14 Kilometer breite Meerenge von Gibraltar von Marokko nach Spanien überqueren weiter an. Allein in den ersten 20 Tagen des September wurden 1.095 Menschen an den spanischen Küsten von der Guardia Civil aufgegriffen. Im Vorjahr waren es im gesamten September 1.331 gewesen.

„Wir haben die Zahlen für den Gesamtmonat noch nicht. Aber der Zuwachs zeichnet sich deutlich ab“, sagt eine Sprecherin der Regierungsdelegation für Immigration. Im Jahresvergleich sind die Zahlen noch deutlicher: Insgesamt wurden dieses Jahr bereits 14.000 illegale Einwanderer verhaftet. Im gesamten Jahr 2000 waren es 15.000.

Ein Blick auf die Statistiken zeigt auch, dass der unlängst von allen spanischen Medien gemeldete „drastische Rückgang der Illegalen“ nach den Anschlägen vom 11. September in New York und Washington eine Presseente war. Vom 11. bis zum 20. September wurden an den spanischen Küsten 854 „Papierlose“ verhaftet. In den ersten zehn Tagen des Septembers waren es nur 241 gewesen. „Wie es zu dieser Meldung kam, können wir uns hier nicht erklären“, meint die Sprecherin der Immigrationsbehörde.

Die illegalen Einwanderer belasten seit Monaten die bilateralen Beziehungen zwischen Spanien und Marokko schwer. Der spanische Außenminister Josep Pique warf angesichts der Ankunft von mehreren hundert Menschen pro Tag im August den marokkanischen Behörden „Zusammenarbeit mit den Schleppermafias“ vor. „Die Meisten dieser Mafias sind in Spanien“, konterte Marokkos König. Anfang September setzte Marokko zaghafte Zeichen des Einlenkens. Erstmals wurden im staatlichen Fernsehen die Leichen von dreizehn Marokkanern gezeigt, deren Boot auf dem Meer gekentert war. Kurz darauf berichteten die staatlichen Medien abermals über das Thema und zeigten 39 Verhaftete: Die marokkanische Küstenwache hatte das Boot aufgebracht.

In Spanien leben 250.000 Marokkaner. Eine Million dürften es im Laufe dieses Jahrzehnts werden. Doch Madrid möchte sich die Einwanderer aussuchen. Im Frühjahr wurde deshalb ein Abkommen zwischen Spanien und Marokko unterschrieben. Die Arbeiter aus Marokko sollen künftig je nach benötigter Qualifizierung ausgesucht werden. Madrid möchte im Gegenzug für diese Sonderbehandlung, dass Rabat selbst gegen die illegale Wanderung vorgeht.

Bei einem Treffen des spanischen Außenministers Pique mit dem marokkanischen Außenminister Mohammed Benaissa Anfang dieser Woche ging es deshalb nicht nur um die Treue Marokkos zur Anti-Terror-Allianz der Nato. „Die spanische Bevölkerung ist sehr tolerant gegenüber den marokkanischen Immigranten. Doch die illegale Einwanderung ist ein Problem“, erklärte Pique. Benaissa zeigte sich betont verständnisvoll. Er forderte Spanien auf, bei der Ausrüstung der marokkanischen Grenzer Hilfe zu leisten. Rabat hätte gern moderne Radars und Nachtsichtgeräte, wie sie die spanische Guardia Civil benutzt.

Ob damit den Migranten beizukommen ist, darf allerdings bezweifelt werden. Zu gern halten die schlecht bezahlten marokkanischen Militärs und Polizisten die Hand auf. Und die Mafia, so scheint es, bezahlt gut. „Mit viel gutem Willen werden wir eine Lösung finden“, gibt sich Pique dennoch optimistisch.

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