: Das Hintergründige des Aphoristikers
Wowereit: schwul, Steffel: verheiratet, Gysi: willig, und die Bündnisgrünen – ein Waschmittelpaket. Die Plakate zum Berliner Wahlkampf strotzen vor angestrengter Lustigkeit, einer ordinären Mischung aus Kumpanei und Augenzwinkern. Die Zurschaustellung des Nichts wird durch nichts untertroffen
von JÖRG SUNDERMEIER
Wenn man sich dieser Tage den Berliner Wahlkampf anguckt, vor allem wenn man die Wahlplakate analysiert, so erfährt man bereits auf den ersten Blick, dass die verschiedenen Parteien kaum mehr etwas anzubieten haben. SPD, CDU, FDP, PDS und die Grünen konkurrieren am Straßenrand der Hauptstadt hauptsächlich in Sachen schlechter Stil miteinander.
Obschon sie auch in dieser Hinsicht von einer Partei, die nichts weiter als Deutschland und Deutsche im Sinn hat, der NPD nämlich, in jeder Hinsicht über-, also untertroffen worden sind: Die NPD entschied sich für den griffigen Slogan „Normal, nicht schwul“ – und jetzt versuchen sich die anderen ganz offensichtlich im Ringen um den zweitschlimmsten Platz.
Die Homosexualität des Regierenden Bürgermeisters, Klaus Wowereit ist dabei für die CDU ebenso wie für die SPD durchaus ein Thema. Irgendwie, so scheint es, ist Homosexualität für die Wahlkampfbüros der bürgerlichen Parteien immer noch ein Gegenstand der Verwunderung. Man plakatierte folglich seitens der Konservativen kurz nach Wowereits eigenem Outing („Ich bin schwul, und das ist auch gut so“) beherzt Plakate, auf denen Steffel mit seiner Gattin zu sehen war, wie sie in selten verkrampfter Weise auf einem Roller sitzend in die Sommerferien fahren. Nun haben sich die Sozialdemokraten bei ihrer jüngsten Plakatserie dafür entschieden, mächtig frech zu antworten: „Andere werben mit ihren Frauen. Er macht die beste Politik für sie“, steht über einem Bild zu lesen, das Wowereit als unbeholfenen Charmeur zeigt. Ob es nicht eigentlich besser wäre, mit den Frauen Politik zu machen, lässt die SPD offen. Die Frage interessiert auch hier weniger als ein hintergründiges Anspielen, eine ordinäre Mischung aus Kumpanei und Augenzwinkern.
Und das, wo alles Hintergründige ja nun eigentlich Sache des selbst ernannten letzten Aphoristikers André Brie ist, der als personifizierte Wahlkampfmaschine der PDS bereits den außerordentlich dämlichen Slogan „Nazis raus – aus den Köpfen“ verbrochen hat. Auch Bries allererster Versuch, seiner Partei zu helfen, der 1990er Kampfruf „Progressiv! Produktiv! Pro DDR! PDS“, ist bis heute unvergessen.
Dieses Mal jedoch versucht Brie sich gar nicht erst an der Suggestion von politischem Gehalt. Er setzt allein auf den Kandidaten der Partei: Hat schon Gysis Homepage eine von angestrengter Lustigkeit nur so quietschende Adresse (www.take-it-gysi.de), so ist der aktuelle Plakatslogan „Der will. Der kann.“ nicht einmal mehr quietschend. Die Aussage ist: Jemand möchte einen Job erlangen und könnte diesen auch ausfüllen. Dass es aber als Wahlkampfargument jetzt schon hinreichen soll, dass der Kandidat den Job, um den er sich bewirbt, wenigstens beherrschen würde – wenn er schon sonst nichts zu bieten hat –, zeigt das Niveau, auf dem sich der Wahlkampf der PDS abspielt: Die Wählerin und der Wähler werden für dumm genug gehalten, zu glauben, dass die Fähigkeit, Repräsentanzpflichten wahrzunehmen, bereits dafür reicht, um gewählt zu werden.
Wäre dem allerdings so, wäre es das Einfachste, die jeweilige Regierung im Amt zu belassen – sie wollte und sie konnte es ja bereits schon. So wird – unbeabsichtigt gewissermaßen – dem Wahlkampfleiter der PDS die alte Staatspartei zum Verhängnis, in der ein Kandidat des Zentralrats oder der Partei sowieso immer so gut wie gewählt war.
Eine derartige Zurschaustellung des Nichts wird von den Bündnisgrünen allerdings noch einmal locker untertroffen. Denn die Bündnisgrünen reden nicht einmal mehr darüber, was sie oder ihre Spitzenkandidatin sind (Wowereit: schwul, Steffel: verheiratet, Gysi: willig), sondern einzig darüber, was sie nicht sind. Nämlich: korrupt. Als sollte das nicht selbstverständlich sein.
Auf ihren Plakaten zeigen die Bündnisgrünen ein Waschmittelpaket und verkünden: „Am 21. Oktober ist Waschtag“ beziehungsweise „Für wenig Geld vom Fleck weg“. Bislang war der Fleck und die Angst davor ja immer ein Synonym für Spießigkeit, wenn nicht gar krampfhafte Putzsucht, doch wollen die Bündnisgrünen eigentlich gar nicht davon reden, dass sie etwas Peinliches beseitigen wollen. Sie müssen auf diese Weise übertünchen, dass ihr politisches Programm für Berlin sich von den anderen Programmen kaum mehr unterscheidet. Bleibt das Fazit: Noch haben sie sich nicht bestechen lassen können.
Dass sich aber die Bündnisgrünen, die doch eigentlich für die Ökologie stehen müssten, für ihre so sehr an die deutschen Sekundärtugenden „Ausputzen“ und „Gründlichkeit“ gemahnende Saubermann-Kampagne ausgerechnet einen Waschmittelkarton zum Symbol erkoren haben, zeigt, dass sie nicht einmal mehr ihre Geschichte kennen. Hey, ihr Grünen, möchte man ihnen da zurufen, ihr seid doch die Partei, die bis vor kurzem noch gegen chemische Keule und für ökologisches Waschen war!
Auch nicht selten blöd verhält sich die FDP. Dass sie sich für den Motor der Wirtschaft halten wird, war schlicht zu erwarten. Und dass sie eine Kampagne für bessere Bildung starten wird, auch. Dabei schneidet ihr Slogan „Gute Bildung kostet – schlechte noch fiel meer“ sogar noch relativ gut ab – gegen die PDS-Brie’sche Witzwortkunst, die sich in „Äppel für @lle“ widerspiegelt, kann man einfach nicht verlieren. Des Weiteren präsentiert man Günter Rexrodt, den ehemals blassesten Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, als „Mister Wirtschaft“, der sich gegen „Misswirtschaft“ wendet. So weit, so gewohnt. Eben wie zu erwarten.
Dann allerdings hat sich die FDP noch das schöne Plakat „Die Mauer muss weg“ ausgedacht, auf welchem ein Wald an Verkehrsschildern zu sehen ist, und hat damit dann leider alles erfüllt, wofür sie – hätte die PDS ein derartiges Plakat lanciert – mit Sicherheit vor lauter Gallen und Geifern nicht mehr hätte an sich halten können. Wird doch der harmlose beziehungsweise nervige Schilderwald mit der Schandmauer gleichgesetzt. Und also auch der genervte Autofahrer mit dem Maueropfer – nein, ihr Herren von der FDP, das finden wir ganz fürchterlich, wie sehr Sie die historische Dimension der Mauer in einem schrecklichen Ulk relativieren.
Doch von allen obszönen Plakataktionen sind immer noch die am schlimmsten, die von allen, von der SPD, der CDU, den Bündnisgrünen und der PDS, verbrochen worden sind – und zwar die Plakate, mit denen die Parteien ihre eingeübte Trauer über die Terroranschläge in den USA ausgestellt haben und so zum WählerInnenfang nutzen. Es ist abscheulich, Steffel neben der Solidaritätsbekundung mit „unseren amerikanischen Freunden“ grinsen zu sehen. Es ist fürchterlich, wie mit schwarzen Trauerplakaten auch die Bündnisgrünen ihre Pietätlosigkeit demonstrieren. Und grausam schließlich, die PDS dabei zu beobachten, wie sie mit dem Motto „War is not the answer“ ein merkwürdiges Moment von Friedensfreundschaft und Wahlkampf schafft. Das haben die Toten nicht verdient.
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