: Grüner Friede dank George W. Bush
Hätten die USA Afghanistan bereits angegriffen, wäre beim grünen Länderrat wohl heftiger über deutsche Militäreinsätze gestritten worden.
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
„Ihre Artikel über eine Zerreißprobe können Sie jetzt alle wieder in die Schublade packen“, sagt Fritz Kuhn grinsend in die Runde, dreht sich um und geht nach Hause. „Das war jetzt aber ein Kraftakt!“, seufzt Claudia Roth, die andere Grünen-Vorsitzende. Und der Chefdissident der Bundestagsfraktion, Christian Ströbele, befindet über den mit Zwei-Drittel-Mehrheit angenommenen Leitantrag des Kleinen Parteitags: „Das ist kein Grund, einen Aufstand anzuzetteln.“
Hätte CNN an diesem Samstagnachmittag Bilder von US-Angriffen auf Stellungen Ussama Bin Ladens übertragen, dann wäre der grüne Länderrat wohl anders verlaufen. Stattdessen starrten rund 30 Zuschauer vor dem Sitzungssaal im Berliner Abgeordentenhaus gebannt auf einen kleinen Bildschirm, wo beim Fussballspiel England - Griechenland, die Vorentscheidung über die deutsche WM-Beteiligung fiel. „Den größten Streitpunkt hat uns die US-Administration erspart“, sagte Ströbele spöttisch, „dass wir zu einer Beteiligung der Bundeswehr etwas Definitives sagen müssen.“
Es gebe einen „hilflosen Pazifismus, aber auch hilflose Militärstrategien“, beschrieb Antje Vollmer das Dilemma der Grünen. Im Ergebnis hat die grüne Partei mal wieder ein sehr grünes Kunststück zuwege gebracht: Einen Antrag, dem fast alle Delegierten zustimmen, weil sie ihn ganz unterschiedlich verstehen. „Der Beschluß fordert nicht den Einsatz militärischer Mittel, denn das ist nicht der Job der Grünen. Der Beschluß stellt fest, dass es militärische Einsätze geben wird“, beschreibt der Fraktionsvorsitzende im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Martin Hentschel, die neue Dialektik.
Das liest sich im Antrag dann so: „Die Ausrufung des Bündnisfalls gibt den USA das Recht, Hilfe gegen den bewaffneten Angriff einzufordern, militärische Hilfe eingeschlossen.“ Die Bundesregierung habe dem Beschluss des Nato-Rats zugestimmt. „Diese schwere Entscheidung tragen Bündnis90/Die Grünen angesichts der terroristischen Angriffe in den USA mit.“ Gegenanträge des Landesverbandes Brandenburg und der Grünen Jugend, die eine deutsche Beteiligung an Militärschlägen explizit ausschlossen, erhielten nur ein Dutzend von etwa 70 Stimmen.
Natürlich tat auch Joschka Fischers Rede ihre Wirkung. Gleich nach Claudia Roths Eröffnung durfte er sprechen. Er nahm seine Zuhörer mit in den Dschungel der internationalen Diplomatie wie Bernhard Grzimek einst die Fernsehzuschauer in das dunkle Herz Afrikas – Weltpolitik in Nahaufnahme. Gerade habe er mit Bundeskanzler Schröder den spanischen Premier Aznar und seinen Außenminister getroffen, erzählt er dann, und da “hab‘ ich die spanische Seite beim Mittagessen gefragt, weil’s mich interessiert hat, wie Spanien denn mit dem Terror lebt.“ Verhandeln, wo es nichts mehr zu verhandeln gibt, sei ein Fehler, habe er aus dem Gespräch gelernt. Bin Laden wolle den Kampf der Kulturen, die Vernichtung Israels, den Untergang der USA. „Kann man darüber verhandeln? Hilft eine sanftere Gangart? Wenn es ginge, wäre ich sofort dafür – und das ist jetzt kein rhetorischer Trick!“ Fischers Treuherzigkeit ist sein größtes rednerisches Kapital. Wenn er „ganz ehrlich“ wird, sind selbst skeptische Delegierten angerührt. Auch das Fischer-Finale darf nicht fehlen: Ein Versprechen auf bessere Zeiten. Aus den Trümmern des WTC sieht er „eine neue Ära des Engagements“ heraufziehen, grad wie es die Grünen sich mit ihrem Ruf nach einer Weltinnenpolitik immer erträumt hatten. Nach dem 11. September würden sich schließlich auch die Amerikaner vom Unilateralismus abwenden.
„Ihr redet viel von der Besonnenheit der Amerikaner“, ruft Winfried Hermann in den Saal, „ist das besonnen, jetzt eine solche Militärmaschinerie anlaufen zu lassen?“ Und was sei besonnen daran, nicht sofort zuzuschlagen, wenn dies militärisch ohnehin nicht gehe? „Auch der Golfkrieg wurde sechs Monate lang vorbereitet.“ Hermann spricht für das kleine Häuflein von Militärgegnern in der Bundestagsfraktion. Er warnt vor einem Riss in der Partei, nicht zwischen links und rechts, sondern den Funktionsträgern oben und einer friedensbewegten Basis unten.
„Ich habe das so nicht festgestellt, Winni“, kontert Fritz Kuhn, und Claudia Roth wird hinterher sagen, sie schätze „den Winni“ ja wirklich, aber er nehme doch die Wirklichkeit sehr anders wahr als die Mehrheit der Partei. Sie sind sich überhaupt sehr einig in diesen Tagen, der Befürworter des Kosovo-Krieges Fritz Kuhn und die Kosovo-Gegnerin Claudia Roth. Auch das mag die Einigkeit der Partei erklären.
Und dann ist da noch die Basis, von der ein Delegierter die folgende Geschichte erzählt. Ein Professor an der FH Kiel sei durch lange Jahre in Afrika zum Pazifisten geworden. Als Handlungsanleitung für eine Bundesregierung tauge der Pazifismus nicht, das verstehe er schon. Nur eine Bitte habe er. „Lasst mir Luft, in der Partei zu sein.“
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