Nach dem Tag X in Bremen

■ Nach den Angriffen auf Afghanistan: Sicherheitsmaßnahmen in der Hansestadt erhöht/Gegendemonstrationen / 400 in Bremen lebende Afghanen zwischen Angst und Empörung

Als er die Blitze der Cruise Missiles im Fernsehen sah, versuchte Karim Popal, zu Hause bei seiner Familie anzurufen. Vielleicht lebt seine Familie nicht mehr: Der Krieg hat begonnen, die Telefonleitungen nach Kabul sind tot, Popal, einer von 400 in Bremen lebenden Afghanen, schwebt zwischen Angst und Empörung: „Die Amerikaner greifen mit High-Tech ein Volk an, das barfuß läuft – ist das nicht beschämend?“, fragt der af-ghanische Rechtsanwalt. „Sie töten Zivilisten: Rund um das attackierte Verteidigungsministerium ist eine reine Wohngegend, andere Angriffe galten dem Norden der Stadt – hier leben die Armen.“ Für Popal ist klar: „Das ist Völkermord.“

Nach fast vier Wochen bangen Wartens ist der Tag X da: Krieg gegen die Taliban in Afghanistan – und auch das ferne Bremen zittert mit. Als am Montag um 18.09 Uhr Berichte über eine neue Angriffswelle gegen Afghanistan über den Ticker kamen, hatten sich gerade rund 500 Anti-Kriegs-Demonstranten auf dem Marktplatz versammelt. „Wir wollen unserer Regierung sagen, dass wir die Gefolgschaft beim Krieg gegen Unschuldige verweigern“, betonte Eva Böller vom Bremer Friedensforum.

Schon am Sonntagabend waren 200 Spontan-Demonstranten zum Sielwalleck marschiert, um gegen die Angriffe zu protestieren. Nach einem Schuss mit einer Leuchtpis-tole wurden die Friedensbewegten prompt von Innensenator Kuno Böse (CDU) gerügt, weil Aktionen wie diese „Polizeikräfte absorbieren, die jetzt bespielsweise zum Schutz jüdischer Einrichtungen gebraucht werden“.

Böse hat nach den Attacken die Sicherheitsmaßnahmen im Land Bremen weiter verschärfen lassen, Einrichtungen der USA, Großbritanniens, Israels werden verstärkt bewacht. Bislang hätten die 40.000 in Bremen lebenden Muslime gezeigt, dass sie sich nicht von Terroristen anstecken oder zu einem „heiligen Krieg“ verführen ließen, betonte der Innensenator. Und: „Kein Bürger muss Angst haben.“

Ein Appell, der wenig am Unwohlsein der Bremer ändern dürfte. „Schluss mit dem Töten, Nato!“, forderten die Jusos im Unterbezirk Bremen-Stadt: Es gebe „keinen gerechten Krieg.“ Die Militäraktionen würden die Bevölkerung Af-ghanistans dazu bringen, die Taliban zu unterstützen, fürchtet das „Bremer Friedensforum“. Deswegen sei auch die „uneingeschränkte Solidarität von Kanzler Schröder gegenüber den USA äußerst unklug und dem Frieden abträglich.“

Die Deutschland-Zentrale der Globalisierungsgegner von „Attac“ in Verden warnt, es gebe „keinerlei Rechtfertigung für ,Kollateralschäden' unter der afghanischen Zivilbevölkerung“. Die Luftangriffe erzeugten „neue Gegengewalt“, fürchtet die Bremer Gruppe der „Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“. Die westliche Welt solle nicht mit Bomben und Raketen, sondern mit „einer tiefgreifenden Änderung ihrer bisherigen Politik gegenüber der Dritten Welt“ reagieren.

Darauf wartet Sharif Qaderi, afghanischer Einzelhändler in der Hans-Böckler-Straße, schon seit Jahren. „Die Taliban sind schlecht für unser Land“, erklärt Qaderi. „Dennoch ist es nicht richtig, dass die Amerikaner für eine einzige Person das ganze Land noch viel mehr zerstören“. „Jetzt zahlt unser Volk zum zweiten Mal mit Blut“, klagt Zemmar Assadullah, der Zeitschriftenhändler von nebenan. „Zuerst griffen uns die Russen an, jetzt die Amerikaner“, sagt Assadullah. Nur sein Sohn Ajmal kann dem Krieg an diesem Tag etwas Positives abgewinnen: „Anders bekommt man Ussama bin Laden und die Taliban nicht aus Afghanistan raus.“ Kai Schöneberg

Am Samstag um 7.30 Uhr startet von Bremen aus ein Bus zur bundesweiten Anti-Kriegs-Demonstration in Berlin. Fahrkarten: 0421/327961