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In Berlin fand die „Fachmesse für Drehbuch und Scriptentwicklung“ statt. Mittlerweile arbeitet man sogar mit Trance, Konfliktberatung und Tiefenpsychologie an Ideen für Kino- und Fernsehserienstoffe
von DETLEF KUHLBRODT
In den letzten Tagen war in Berlin viel los. Der „Norddeutsche Diabetikerkongress“ tagte, das „art forum“ poste, die „Erotikmesse“ lockte und „script!FORUM 2001“, die „Fachmesse für Drehbuch und Stoffentwicklung“ beeindruckte vom 4. bis 7. Oktober nicht nur durch den originell geschriebenen Titel. Etwa 800 angehende und gestandene Drehbuchautoren trafen sich vier Tage in der „Urania“, im Zentrum des Westens, um bei der Veranstaltung der „Master School Drehbuch GmbH“, einer „Initiative der Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH“, ihre „kreativen Kräfte zu bündeln“. Es gab Podiumsdiskussionen, Vorträge, Senderpräsentationen und Filmvorführungen; im Erdgeschoss standen Verbände, Hochschulen, Buchverlage, Sender, Weiterbildungsinstitutionen und Developmentagenturen mit Keksen, Kaffee und dem Üblichen.
Zunächst war es deprimierend, am Morgen der letzten schönen Herbsttage da hinzugehen und man fühlte sich im Sonnenlosen so ähnlich wie früher in der Schule, zumal man ja auch kein Drehbuch in petto hatte, dass man an den Sender hätte bringen wollen. In seiner Eröffnungsrede benannte Oliver Schütte von der Master School die Ziele des Drehbuchautors: „Auf der Basis der errungenen Professionalität, den Mut zur Originalität finden. (...) Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Deshalb ist Ausbildung gut und sollte gemacht werden.“
„Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich sage aber Qualität belebt die Konkurrenz“, ergänzte Professor Keil vom Filmboard Berlin-Brandenburg und sprach von der „verstörenden, berührenden Dienstleistung“, die der Drehbuchautor erbringe, und beglückwünschte die Anwesenden, „denn Sie werden die Nase vorn haben“. Von Charakterboom und Plotpoints war ferner noch die Rede, nur das Wort vom „Storybombing“ fiel an diesem Samstag nicht. Auf der Bühne redete ein ehemaliger Kommilitone, der ein wenig an den jungen Norbert Bolz erinnerte, und am Rande stand eine ehemalige taz-Kollegin, die inzwischen bei Sat.1 ihre Schrippen verdient.
Sie sagte, bei Sat.1 sei es schöner und dass sie keine Zeitungen mehr lesen würde. Wir hatten so eine typische Kurzdiskussion, in deren Hintergrund das Übliche unausgesprochen lauerte – die tolle Freiheit des Journalisten auf der einen, die Säcke mit Geld, mit denen Sat.1-Mitarbeiter zugeschüttet werden, auf der anderen Seite. Sie sagte noch, der Zuschauer, den man seitens Sat.1 anpeile, sei die Wurstverkäuferin hinter der Theke im Supermarkt, die nach getaner Arbeit nur noch entspannen wolle.
In der Präsentation von Sat.1/Pro7, die bekanntlich zur gleichen Firma gehören, tauchte die Wurstverkäuferin, der Helge Schneider vor wenigen Jahren mehrere Lieder gewidmet hatte, auch wieder als Gemeinplatzwart auf. Kurz kam auch die unterschiedliche Klassenlage von Sendern (S) und Empfängern (E) zum Ausdruck. Die angestellten Sender haben Abitur und die angepeilten oder via Rasterquotenermittlung (RQE) ermittelten Empfänger stehen hinter dem Wursttresen. Über diese sozusagen moralästhetische Problematik, die darin bestehen könnte, Fernsehen für Leute zu machen, deren Geschmack man nicht teilt, wurde nicht gesprochen.
Man denkt ja häufig, dass die Macher die Auffassungsgabe ihrer Zuschauer möglicherweise unterschätzen oder dass sie der Ansicht sind, es mache mehr Freude, einen Film zu gucken, der dümmer ist als man selber, als einen Film zu gucken, der ein bisschen klüger ist als man selbst. Was allerdings kaum weniger für die Öffentlich-Rechtlichen gelten dürfte, bilde ich mir ein. Wie auch immer: der Look von Sat.1 und Pro7 wurde vorgestellt. Sat.1 sagte, dass es sich zielgruppentechnisch vor allem am Frauenpublikum 30+, also „frauenaffines Familyentertainment“, powered by Emotion und Psychologie statt Gewalt, orientieren würde, während Pro7 für actionorientierte Männer 30– zuständig ist. Man war sich nicht ganz sicher, ob der Boom der Romantic-Comedies mit übersinnlichen Zutaten, die allerdings nicht verstören sollten („Viktor der Schutzengel“ usw.) nicht schon vorbei ist, und verspricht sich viel von einer kommenden Psychiatrieserie, deren Arbeitstitel „Die Anstalt“ mittlerweile verändert wurde. Interessant waren die detaillierten Quotenermittlungen und dass die Werbekunden nur für Zuschauer zahlen, die zwischen 14 und 49 sind, und dass 12,2 Prozent der Sat.1-Gucker 0 bis 3 Jahre alt sind. Man suche auch ständig nach „frischen Ideen von Newcomern“.
Auch der UFA-Konzern stellte sich vor: Catchy Cliffhanger sind keine Lösung! Es gilt, PowerBrands zu entwickeln. Zurzeit ist das Contentangebot größer als die Nachfrage und die Werbeeinnahmen sind rückläufig (–3,6 Prozent). Demnächst wird es umgekehrt sein. „Content is king!“, „Uniqueness extrem wichtig“ und UFA heißt übersetzt inzwischen: „Unique Brans, Fascinating Content, Advanced Media.“ Und immer dran denken: „Bitte keine allzu traurigen Stoffe!“
„Don’t have Sex – save yourself“ steht auf dem Plakat einer Hosenfirma auf dem Weg zur Urania. Wichtiger als die Präsentationen waren natürlich die eher praktisch orientierten Veranstaltungen. Auffällig dabei, dass man immer mehr die Kräfte des Unbewussten auf dem Weg zum guten Drehbuch anzuzapfen versucht. Jürgen Wolf, Dozent für „Creative Writing, geprüfter Hypnose- und NLP-Therapeut“, leitete einen viel besuchten Workshop über „Hypnotic Script Writing“. Seine CD „Power Trance“ verbindet übrigens Kreativitätsübungen mit der in der Trance gewonnenen Entspannung. Professor Dr. Dirk Blothner sprach über den „tiefenpsychologischen Beitrag zur Gestaltung wirksamer Filme“ und zwei Workshops versuchten die „systemischen Aufstellungen“ für die Arbeit am Drehbuch nutzbar zu machen. „Systemische Aufstellungen“ wurden für die Familientherapie entwickelt und sind zurzeit in allen möglichen Bereichen sehr beliebt. Es läuft zum Beispiel so, dass man sich als „Patient“ hinstellt, entspannt – und die SystemanalytikerIn stellt noch andere Leute, die zum Beispiel die eigene Familie repräsentieren, dazu. Die Leute werden Feng-Shui-mäßig hin- und hergeschoben und man spürt dem dann nach, wie sich die Aufstellungen so anfühlen, was das für Erinnerungen auslöst usw. Die gespürten Energiefelder verändern sich dabei und erzählen, während sie sich verändern, eine Geschichte.
Das mag etwas esoterisch klingen, funktioniert aber verblüffend gut und lässt sich auch für das Schreiben nutzbar machen. Wenn man beispielsweise eine Beziehungsgeschichte hat – Frau zwischen zwei Männern – und nicht weiß, wie das enden soll, geht man zur systemischen Beratung für Drehbuch- und Stoffentwicklung und die SystemikerIn stellt die Personen auf, zuweilen auch solche, die Ereignisse repräsentieren, und die erzählen dann, wie sie sich so und so fühlen, wohin es sie zieht, und man zieht seine Schlüsse daraus.
Der Workshop mit Kristine Erb, deren Institut „System in Aktion“ vor allem in der Management- und Konfliktberatung für Unternehmen tätig ist, war sehr überzeugend. Ich wurde als Sohn in einer Familiengeschichte aufgestellt, stand einer immer sympathischer werdenden männlichen Reihe aus Papa-, Opa- und Urgroßvaterrepräsentanten gegenüber, schwitzte gleich sehr therapeutisch – wie peinlich! – und musste danach erst mal bisschen nachdenken. „Reihen funktionieren immer“, erklärte eine systemkompetentere Kollegin danach.
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