: Über Taliban zu lachen ist bei den Grünen verpönt
Am Tag nach den US-Angriffen diskutieren die Grünen über die Grenzen der Spaßgesellschaft – und der Militäreinsätze. Die Parteichefs Fritz Kuhn und Claudia Roth hoffen, dass die USA weiterhin zielgenau an Zivilisten vorbeibomben, während Fraktionschef Schlauch die Taliban „abservieren“ will
BERLIN taz ■ Die Szene spielt am Hauptbahnhof in Boston morgens um sechs. Sie ist den Grünen so wichtig, dass sie am Morgen nach den US-Angriffen auf Afghanistan für Empörung im Parteirat sorgt. Anschließend wird der Parteivorsitzende Fritz Kuhn vor der Presse erklären: „Es gibt Bereiche, da kann man Witze machen, und es gibt Bereiche, da kann man keine Witze machen. Dies war ein solcher Bereich.“
Ausgerechnet die Erika Mustermanns der grünen Bundestagsfraktion, Cem Özdemir, Matthias Berninger und Kathrin Göring-Eckardt scheinen sich in den Fallstricken der Spaßgesellschaft verfangen zu haben. Sie sollen sich auf ihrer gerade beendeten USA-Reise mit einem Quiz auf Kosten von Claudia Roth die Wartezeit am Bahnhof vertrieben haben: „Unsere Parteivorsitzende hat wieder neue Bedingungen für deutsche Militäreinsätze aufgestellt. Ratet mal, welche!“ Erster Versuch: „Afghanistan muß ökologisch bewirtschaftet werden?“ Zweiter Versuch: „Die Taliban sollen die Frauenquote einführen?“
Die FAZ am Sonntag leitete mit dieser Episode einen durchaus wohlwollenden Bericht über die Reise des Trios ein. „Der Parteirat missbilligt das, wenn solche Worte gefallen sind“, sagte Kuhn und wies darauf hin, dass die Betroffenen die Äußerungen bestritten. Der Autor blieb auf taz-Nachfrage bei seiner Darstellung. Über den Zustand der Grünen am Tag 1 nach den US-Luftschlägen läßt sich daraus mehreres ablesen. Erstens ist es inzwischen in der Partei einfacher, eine Position zu Militäreinsätzen zu finden als zu den Grenzen der Spaßgesellschaft. Zweitens ist Claudia Roth für die innerparteiliche Suche nach einem Kompromiss in Sachen Militär so zentral geworden, dass sie selbst gegen Anekdoten von höchsten Parteigremien in Schutz genommen wird. Die Vorsitzende spielte die entscheidende Rolle bei der Formulierung des Leitantrags auf dem kleinen Parteitag am Samstag, mit dem es gelang, selbst zahlreiche Kriegsskeptiker hinter dem Kurs von Joschka Fischer und der Bundesregierung zu versammeln. Als Kritikerin des Kosovo-Einsatzes verleiht Roth der grünen Unterstützung für die Afghanistan-Operation Glaubwürdigkeit.
Wie tragfähig der Kompromiss vom Samstag ist, erwies sich am Montag. Auf der Parteiratssitzung gab es nach Kuhns Angaben keinen Dissens zur Unterstützung der US-Aktion, allerdings fehlte die kritische Landesvorsitzende von Thüringen, Astrid Rothe, wegen Krankheit.
Auch gestern bemühte sich die Partei- und Fraktionsführung, bei der Bewertung der US-Schläge noch Grenzen des Zulässigen zu definieren. Die grüne Unterstützung beruhe auf „den uns vorliegenden Informationen“, hieß es in einer Erklärung, wonach die US-Aktionen sich nicht gegen „afghanische Städte und die afghanische Zivilbevölkerung“ richteten. „Wir hoffen und fordern, dass es auch weiterhin bei dieser Zielgenauigkeit und Verhältnismäßigkeit bleibt“, ergänzten Kuhn und Roth.
Fraktionschef Rezzo Schlauch hatte dagegen am Sonntagabend in der ARD gesagt: „Das Taliban-Regime muss abserviert werden.“ Dies ist bisher jedoch nicht offizielle Politik der Bundesregierung oder der Grünen. Im Parteirat wurde Schlauch deshalb nach Angaben von Teilnehmern kritisiert.
Schlauchs Äußerung hat linke Bundestagsabgeordnete wie Annelie Buntenbach in ihrem Eindruck bestätigt, die US-Aktion sei ein „Krieg mit dem Ziel, die Taliban zu stürzen“. Buntenbach sagte gestern: „Das ist nicht die zielgerichtete Aktion zur Ergreifung Ussama Bin Ladens, über die bei den Grünen lange diskutiert worden ist.“
Mit seiner Kritik an Afghanistan-Witzen dürfte Fritz Kuhn übrigens wenig Erfolg beschieden sein. Wer die Spaßgesellschaft verdammt, übersieht, dass er mit seiner Performance ihre Existenz bereits verlängert. Auch das stand in der jüngsten FAZ am Sonntag. PATRIK SCHWARZ
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