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Simpler Tauschhandel

Die Türkei hofft auf Kredite von den USA. Angriffe gegen den Irak passen aber nicht in ihr Konzept

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Wann immer in den letzten Wochen über Ziele US-amerikanischer Angriffe außerhalb Afghanistans spekulierte wurde, war unweigerlich zuerst vom Irak die Rede. Zu offensichtlich war Saddam Hussein nach dem 11. September aus dem Konzert der Beileidsbekundungen ausgeschert und hatte damit zusätzlich Salz in die Wunde der Bush-Dynastie geschüttet, die seit dem Golfkrieg vor zehn Jahren vor sich hin schwärt. Nachdem US-Präsident George W. Bush nun gegenüber dem UN-Sicherheitsrat noch einmal offiziell zu Protokoll gegeben hatte, dass seine Regierung sich vorbehalte, zur Selbstverteidigung auch Organisationen Ussama Bin Ladens in anderen Ländern anzugreifen, rückt der Irak als angeblicher Pate des Terrors noch schärfer ins Visier der Zielfahnder.

William Safire, einer der bekanntesten publizistischen Scharfmacher der USA, hatte schon letzte Woche das Ziel gefunden. In der New York Times berichtete er empört von einer bis zu 400 Mann starken Truppe Bin Ladens, die sich just in dem Gebiet der „von uns protegierten Kurden“ im Nordirak festgesetzt habe – bewaffnet und finanziert von Saddam Hussein.

Die Geschichte ist nicht neu und geht ursprünglich auf Vertreter der nordirakischen Patriotischen Union Kurdistans und deren Chef Jalal Talabani zurück. Ein Sprecher des türkischen Außenministeriums hatten dagegen zunächst auf Berichte über Bin Ladens fünfte Kolonne im Nordirak mit Kopfschütteln reagiert. „Dort sind höchstens ein Dutzend arabische Afghanen, die in den Trainingslagern Bin Ladens waren“, hieß es in Ankara. „Wir wissen doch, dass die Kurden diese Truppe bei jeder Gelegenheit als Argument für ein US-Engagement nutzen.“

Diese Truppe, über die sich sowohl Safire wie auch Talabani erregten, nennt sich Jund-ul Islam und soll ein Zusammenschluss von drei vormals unabhängigen islamistisch orientierten kurdischen Gruppen sein. Auf das Konto von einer von ihnen, der Tevhid, soll der Mord an dem Gouverneur von Arbil, François Hariri, im März dieses Jahres gehen. Eine andere, Jihad-i Islami, soll sich vor allem in der Stadt Halabja hervorgetan haben, indem sie unverschleierte Frauen angriff und Kneipen mit Alkoholausschank zerschlug. Die Auseinandersetzungen erreichten einen ersten Höhepunkt, als Truppen der PUK die Jund-ul Islam unter großen Verlusten aus Halabja vertrieb.

Seitdem behauptet Talabani, die 400 Kämpfer der Jund-ul Islam hätten enge Kontakte zu Ussama Bin Laden und unterstünden dessen Kommando. Diese Aussicht lies bei Vizepräsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld die Alarmlampen aufleuchten. Ein Vertreter der PUK und ein Funktionär der anderen großen nordirakischen Kurdenpartei, KDP, wurden zum Rapport nach Washington bestellt. Auf dem Weg in die USA machten Ende letzter Woche beide in Ankara Station, um sich über die türkische Position zu informieren. Denn sollten sich die USA dafür entscheiden, militärisch gegen Saddam vorzugehen, werden wohl die Kurden im Nordirak dieselbe Rolle spielen wie die Nordallianz jetzt in Afghanistan. Voraussetzung für jeden militärischen Erfolg aber wäre die Unterstützung der Türkei.

Genauso wie alle anderen Länder in der Region – vielleicht mit Ausnahme von Israel – ist die Türkei an einem Krieg gegen den Irak aber überhaupt nicht interessiert. Im Gegenteil, angefangen von den Saudis und Jordaniern, die sich hinter den Kulissen mit dem Diktator in Bagdad längst wieder arrangiert haben, bis zu Ägypten und dem Nato-Verbündeten Türkei wollen alle endlich wieder im Irak Geld verdienen.

Der Hauptstreitpunkt zwischen der Türkei und den US-amerikanischen Verbündeten geht aber um die langfristige Perspektive im Nordirak. Während sich die irakischen Kurden als Lohn für die Unterstützung einer Militäraktion gegen Saddam gerade die Anerkennung eines eigenen Staates erhoffen, ist Ankara strikt gegen einen solchen Schritt. Niemals dürfe im Ergebnis eines Krieges gegen Saddam ein kurdischer Staat entstehen, ist die einhellige Auffassung der türkischen Regierung und der Militärs. Pläne einer türkisch-kurdischen Föderation unter Einschluss der irakischen Ölquellen in Kirkuk, wie sie der frühere türkische Präsident Turgut Özal während des Golfkrieges mit Bush senior diskutierte, sind derzeit in Ankara undenkbar. Angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise, die sich seit dem 11. September noch verschärft hat und im Moment gerade in eine galoppierende Inflation einmündet, ist die türkische Regierung einzig und allein an einem simplen Tauschhandel interessiert. Wir stellen euch Flugplätze und andere Logistik zur Verfügung, dafür macht ihr schnellstmöglich neue Kredite über den IWF oder private Banken locker. Ein militärisches Abenteuer ist für das Land derzeit schon finanziell nicht möglich.

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