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Ungepanzerte Minderheiten

Im Berliner Haus der Kulturen der Welt sprach der Postkolonialismus-Theoretiker Homi K. Bhabha über Fronten des Denkens nach dem 11. September und setzte seine Hoffnung in eine Kunst der globalen Rechtsprechung

Es dauert nur einen kurzen Moment, bis sein Gesicht erscheint. Für die Live-Schaltung zur Harvard-Universität in Cambridge, Massachussetts, wurde extra eine Großbildleinwand aufgebaut, damit Homi K. Bhabha im Haus der Kulturen der Welt anwesend sein konnte. Die Bombardements auf Afghanistan ließen es nicht zu, dass er mit dem Flugzeug nach Berlin reisen konnte. Jetzt ist es ein Triumph der Kommunikationsmittel, dass der Professor für African American Studies seinen Vortrag für die documenta-Plattform per Standleitung als Video halten kann, aus seinem Büro an der Uni, eine Viertelstunde U-Bahn-Fahrt von seiner Wohnung in Boston entfernt. Zumindest technisch funktioniert die Globalisierung der Welt einwandfrei, synchron, ohne Verzögerung.

Am 11. September hat Bhabha auch ungefähr eine Viertelstunde gebraucht, um von seiner Wäscherei zurück nach Hause zu kommen, den Fernseher einzuschalten und das Attentat aufs World Trade Center sehen zu können. In diesen wenigen Minuten hat sich die Zeit des Ereignisses so sehr verdichtet, dass er nicht mehr weiß, wie er überhaupt nach Hause gelangt ist. Keine Frage, für Bhabha war der Terror eine Zäsur, ein Angriff auf die westliche Lebensweise, ja auf demokratische Gesellschaften überhaupt. Wie aber sollte man auf das Ende einer Welt, wie wir sie kannten, antworten?

Bhabha versucht es zu Beginn seines Vortrags mit einem Zitat von Michel Foucault. Für ihn hatte schon 1979 die Globalisierung der Ökonomie längst stattgefunden und ebenso die des politischen Kalküls – „aber eine Universalisierung des politischen Bewusstseins“ sah Foucault nicht, als er seinen Text „Für eine Moral des Unbequemen“ schrieb. Hier knüpft Bhabha an, indem er die Vorstellung einer allgemein gültigen Demokratie zu dekonstruieren versucht: Aus wessen Sicht können wir Demokratie begreifen? Als Beispiel führt er John Stuart Mill an, der sich zwar mit seinem Buch „On Liberty“ als überzeugter Demokrat erwiesen hat, im kolonialen Indien aber zur gleichen Zeit als Repräsentant des tyrannischen „british empire“ gegolten hätte.

Die Situation hat sich, so Bhabha, auch nach dem Ende des Kalten Krieges kaum verändert. Noch immer treiben Dichotomien wie „gut/böse“, „zivilisiert/barbarisch“ oder „gläubig/ungläubig“ politische Entscheidungen voran. Die Hegemonie, von Antonio Gramsci als „mit Zwang gepanzerter Konsens“ beschrieben, gelte weiterhin für den globalen Kapitalismus. Dagegen setzt Bhabha seine Hoffnung in eine Politik, die sich auf „andere Erzählungen“ berufen könnte: eine Philosophie der Teilhabe, die „ihre eigene Voreingenommenheit anerkennt“. In Durban hätte eine solche Verfahrensweise dazu führen können, die vielen Stimmen der Betroffenen in eine gemeinsame, dennoch heterogene Sprache zu übersetzen. Israel und USA haben sich aber dem Konsens über Menschenrechte ebenso entzogen wie etwa Indien, das es geschafft hat, „die Erwähnung des Kastensystems und der Diskriminerung zu verhindern“.

Was bleibt, ist die „Kontiguität“, das zeitliche Zusammentreffen der unaufgelösten Gegensätze, das mit einem „jurisdictional unsettlement“ einhergeht. Nach wie vor gibt es für Bhabha keinen tragfähigen Ansatz, um unverbrüchliche Menschenrechte über nationalstaatliche Grenzen hinweg durchzusetzen. Deshalb sind Minderheiten überall in Gefahr. Trotzdem oder gerade deshalb verkörpern sie für ihn die einzig mögliche Lösung: Denn die Globalisierung schafft permanent neue Minderheiten, die sich aufgrund ihrer veränderten Position artikulieren und als Gruppen kenntlich machen müssen. Diesen Zustand sieht Bhabha wiederum als Chance, ein Bewusstsein von Demokratie zu schaffen, quasi als „poetische Hervorbringung“ einer „Rechtssprechung“. Voilà, das ist die Aufgabe der documenta nach dem 11. September: eine Verbindung von ethischer und ästhetischer Form zu schaffen.

Die Diskussion von Bhabhas Thesen war kurz, sein Vortrag immerhin über eine Stunde lang. Natürlich gab es Bedenken angesichts des „Ausnahmezustands“ (Carl Schmitt), der in New York geschaffen wurde und Bhabhas kulturalistische Versöhnungsidee naiv erscheinen lässt. Dafür sind die Images des zerstörten World Trade Centers zu stark, der Handlungszwang zu groß. Für Bhabha existiert aber noch ein zweites Bild in der Tragödie, das nicht in die Mobilmachung passt: Er denkt an die toten Feuerwehrleute, die 80 Stockwerke durch das WTC hochmarschierten, um die dort Beschäftigten zu beruhigen, zu warnen und aus dem Gebäude zu schaffen, während sie selbst der Katastrophe immer näher kamen. Das ist ein anderes Bild vom Engel als bei Walter Benjamin. HARALD FRICKE

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