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Wieder im Kiez gelandet

Zu Beginn des Berliner Wahlkampfes ging es um Politikwechsel und Aufbruch. Doch der 11. September hat die Koordinaten verändert: Die Grünen sind gelähmt, die PDS spielt Opposition, die CDU jagt Kiffer. Nur für die SPD läuft es alles normal

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die Schöneberger Hauptstraße, Höhe Kaiser-Wilhelm-Platz, ist eine Grenzstraße. In Richtung Osten liegen Viertel des sozialen Wohnungsbaus und einige wenige alte Gründerzeitgebäude. Im Westen und nach Norden hin präsentiert sich der sanierte Kiez mit Boutiquen neben einer Meile neuer Straßencafés und alter Szenekneipen. Hier trifft sich das bürgerliche, grün-alternative Publikum jeden Samstag nach dem Markt an der Crellestraße, nach der Degustation im Weinladen in der Akazienstraße oder dem Einkauf ökologisch korrekter Waren in der „Bio-Insel“.

Die westliche Seite der Hauptstraße ist der ideale Standort für den Wahlkampf der Grünen. Man kennt sich und Elisabeth Ziemer, die Exbürgermeisterin und Spitzenkandidatin der Partei in Tempelhof-Schöneberg. Man kennt die Mitarbeiter vom BUND, die gleich um die Ecke ihr Büro haben, und die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sibyll Klotz. Doch als die Kandidaten über den Gebrauch zusätzlicher Busspuren anheben, kann sich ein Passant nicht zurückhalten: „Und wie geht’s weiter mit der Aufklärung bei der Bankgesellschaft, beim Filz und der Korruption? Wie wollt ihr den Politikwechsel vorantreiben?“

CDU-Bankenskandal, Aufklärung, Politikwechsel, Aufbruch in Berlin waren die Stichworte zu Beginn des hauptstädtischen Wahlkampfs. Heute scheinen sie zwar nicht verloren gegangen. Aber sie spielen nur noch eine marginale Rolle. Was als Rechtfertigung diente für das Ende der großen Koalition und was spürbar war nach der Wahl des rot-grünen Senats in Juni, nämlich die Stadt aus dem Filz und dem „System Diepgen“ zur Metropole mit bundespolitischer Signalwirkung zu führen, hat sich verabschiedet. Kaum einer spricht mehr von „Neubewertung“ historischer Tabus wie damals SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, der die mögliche Konstellation einer rot-grünen Landesregierung mit Beteiligung der PDS guthieß.

Der Wahlkampf ist wieder angekommen, wohin ein städtischer Wahlkampf letztendlich immer führt: bei kommunalen Themen, wie Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa analysiert. Entscheidend waren die weltpolitischen Ereignisse vom 11. September und der Mangel der Parteien, beim thematischen Koordinatenwechsel Akzente zu setzen.

Zu einer wahren Identitätskrise hat der 11. September bei den Grünen geführt. Die ersten Slogans von der „neuen ökologischen Stadtpolitik“ ziehen heute kaum mehr als die Anti-Korruptions-Kampagne „Die saubere Alternative“ oder die Erfolge in der Regierungsbeteiligung. Es ist, als hätten die Terroranschläge in den USA und der anschließende Beschluss des Abgeordnetenhauses, den Wahlkampf für eine Woche auszusetzen, eine tiefe Zäsur zwischen grüner Regierungspolitik und Wahlkampf heraufbeschworen. Wer erinnert sich noch daran, dass die Grünen ihren Partner SPD zum Kassensturz drängten, die Hochschulverträge abschlossen oder Ermittlungen zur Bankenaffäre einleiteten?

Zum Gradmesser sinkender Glaubwürdigkeit ist für die Grünen ihr diffuses Verhältnis zur inneren Sicherheit. „Das Thema muss weiter gefasst werden, etwa als kultureller Dialog zwischen den Vertretern der Religionen, Belebung von öffentlichen Räumen, Präventionsräten in den Kiezen“, stochert Spitzenkandidatin Sibyll Klotz im Nebel und erntet mit solchen Sätzen Unverständnis. Sie sind das Ergebnis eines Dilemmas, in das die Grünen sich selbst manövriert haben. Statt mit klaren Strategien das Thema friedenspolitisch zu besetzen, herrscht wirre Rhetorik und entsetzte Lähmung.

Wenig Magie geht seit den Attentaten in New York und Washington auch vom einst wahlkampfbestimmenden „Medienereignis“ Gregor Gysi (PDS) aus. Vor dem 11. September sorgten die Partei und Gysi mit der Vision einer rot-roten Hauptstadtkoalition, sozialer Gerechtigkeit und weltstädtischer Kunstkapitale für Furore. Nun sind sie als USA-Kritiker stigmatisiert und haben daher auch kein SPD-kompatibles Konzept parat. Zudem zerreiben sich Gysi und seine Partei öffentlich zwischen Anti-Kriegs-Bekundungen und Bemerkungen ihres Spitzenkandidaten, „begrenzte Vergeltungsschläge“ seien richtig. Im direkten Wahlkampf betont Gysi daher jetzt wieder mehr die Knackpunkte statt der Gemeinsamkeiten mit SPD und Grünen. Am „Gysi-Treff“ in Neukölln etwa gibt man sich als sozialistische Alternative: Einheitsschule, kein Großflughafen, mehr Gelder für die bezirkliche Kultur, Chancengleichheit in Ost und West. Das große rot-rote Rad, an dem die PDS drehen wollte, hängt fest.

So erfolgreich wie provinziell sind aus den Tagen nach dem 11. September dennoch zwei Wahlkampfsieger hervorgegangen: die wieder auferstandene FDP, die sich als liberale Alternative zur CDU offeriert. Und die wieder gefestigten Sozialdemokraten. Sie präsentiert Klaus Wowereit ganz in der Tonlage seines Vorgängers Eberhard Diepgen: mit netter unverkrampfter Geste in der Figur des jungen Landesvaters, der problematische Themen erst gar nicht aufkommen lässt. Wowereit verkörpert „mit Taktgefühl den Rhythmus Berlins“, so die Parole, und meint, die Stadt werde in den stürmischen Zeiten „mit ruhiger Hand“ regiert. Was zieht mehr?

Dass Wowereit so erfolgreich auch bei der inneren Sicherheit operiert, liegt daran dass CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel das Thema selbst verfehlt hat. Wo die SPD ein 13-Millionen-Mark-Sonderprogramm zur zusätzlichen Ausstattung der Polizei auflegt und davon spricht, dass „keine terroristische Gefahr für die Stadt“ bestünde, schürt Steffel Hysterie. Als sei Berlin Schills Hamburg, vermischt die CDU die terroristische Gefahrenabwehr mit der Bekämpfung von Drogenkriminalität in der Hasenheide und Graffiti-Schmierereien an Einkaufsstraßen. Auch Steffel ist mit seinem Wahlkampf da gelandet, womit niemand zu dessen Ausgangspunkt gerechnet hat: im Kiez.

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