: Das Restrisiko wird deutlich höher
Nach Anhörungen über die Sicherheit von AKWs bei Terrorangriffen zeigt sich die SPD-Fraktion besorgt. Den Atomkonsens will sie aber nicht aufkündigen
aus Berlin MATTHIAS URBACH
Die Abgeordneten der SPD-Fraktion machen sich Sorgen um die Sicherheit der Atomkraftwerke. Allerdings halten sich die Parlamentarier bislang in der Öffentlichkeit zurück. Sie warten auf die Risikostudie, die die Reaktorsicherheitskommission nächste Woche vorlegen will. Zudem haben die SPD-Fraktionsführung und das Kanzleramt darum gebeten, keine Ängste zu schüren.
Derweil werden hinter verschlossenen Türen Erkundigungen eingeholt. Erst am Donnerstag hatten die zuständigen SPD-Arbeitsgruppen Vertreter der Energiekonzerne geladen. Das Gespräch verlief allerdings aus Sicht der Parlamentarier enttäuschend. Eine besondere Gefahr wurde von den Atombetreibern ausgeschlossen, hieß es von Teilnehmern gegenüber der taz. Zudem hätten die Betreiber auf den Atomkonsens gepocht. „Die waren betonhart“, schimpfte hinterher ein SPD-Parlamentarier.
Bereits Ende September hatte die SPD-Arbeitsgruppe zum Atomausstieg den Chef der Reaktorsicherheitskommission Lothar Hahn herbeizitiert. Die Abgeordneten zeigten sich sehr besorgt, wie das Sitzungsprotokoll offenbart, das der taz vorliegt. Ob sich die Containments der Reaktoren verstärken lassen, will etwa der bayrische Abgeordnete Horst Kubatschka wissen, wie anfällig die Kühlsysteme sind und welche anderen Gefahren als jene durch Abstürze von Flugzeugen drohen. Der stellvertretender Fraktionschef Ludwig Stiegler verlangt, die Reaktorsicherheitskommission solle berücksichtigen, dass ein Kamikaze-Flieger auch Sprengstoff geladen haben könnte.
Der Vorsitzende des Umweltausschusses des Bundestags, Christoph Matschie, sorgt sich derweil um die französischen Meiler an den deutschen Grenzen, die viel weniger gesichert seien. Der stellvertretende Fraktionschef Michael Müller schließlich fragt nach Terrorschutzplänen: Wer würde dafür sorgen, dass im Falle einer Warnung ein Meiler auch abgeschaltet würde?
Auch Detailfragen trieben die Abgeordneten um. Was denn etwa bei einem Brand großer Mengen Kerosin aus einem abgestürzten Flugzeug mit Temperaturen höher als 1.000 Grad passieren werde, will etwa Ulrike Mehl, die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, wissen.
Die Antworten des Sicherheitsexperten Lothar Hahn waren zumeist unbefriedigend. Dies sei noch nicht untersucht worden, muss Hahn auch auf diese Frage zugeben.
Und er gab die Fragen an die Politiker zurück. Das Restrisiko durch die Möglichkeit terroristischer Anschläge wie in New York sei deutlich größer geworden. Es sei nun eine politische Frage, ob dies höhere Restrisiko der Bevölkerung noch zugemutet werden könne. Damit kommen auf die Bundesregierung einige heikle Abwägungen zu. Schließlich gibt es keinerlei objektive Kriterien, dafür jedoch viele Spekulationen als Grundlage für eine politische Entscheidung. Die Umweltverbände sehen sich in ihrer Forderung nach einer sofortigen Abschaltung der Meiler nun endgültig bestätigt, während die Betreiber keinen Änderungsbedarf sehen.
Doch es gibt ein paar Anhaltspunkte. So fällt auf, dass einige Atommeiler schlechter geschützt sind als andere. So besitzen die beiden Reaktorblöcke in Biblis als einzige keine verbunkerte Notkontrollwarte, von wo bei einer Zerstörung der Leitstelle der Meiler trotzdem sicher heruntergefahren werden könnte. Stattdessen sichern sich die beiden Blöcke gegenseitig. Ein Nachrüstung würde fünf Jahre dauern und gut eine Milliarde Mark kosten. Was sich wirtschaftlich kaum lohnen würde.
Manche in der SPD-Fraktion wollen gar die Atomgesetznovelle, und damit den Atomkonsens, in Frage stellen. Doch diese Position ist in der Minderheit. Vor allem die Grünen wollen um jeden Fall verhinden, das der Atomkonsens noch einmal aufgemacht wird. „Wir wären verrückt, wenn wir den gefährden würden“, so ein grüner Abgeordneter.
Kommenden Freitag will der Bundesrat die Novelle beraten, Mitte Dezember – dann abschließend – der Bundestag. Diese Sicherheitsprobleme, heißt es bei den Grünen, wären nur ein weiterer Beleg, dass der Ausstieg mehr als nötig sei. Wenn endlich die Atomnovelle unter Dach und Fach sei, könne man immer noch nachbessern.
Auch der SPDler Christoph Matschie will die Atomnovelle nicht mehr anrühren: „Das Atomgesetz schreibt den Betreibern vor, den Stand von Wissenschaft und Technik einzuhalten – das lässt ja eine neue Abwägung zu“, sagte er gestern der taz. „Alles, was den Schutz verbessert, muss aber diskutiert werden.“ Schließlich gäbe es die Möglichkeit, einzelne Meiler früher zu schließen – und die Strommenge auf sicherere Meiler zu übertragen. „Das ist im Atomgesetz so angelegt.“
Auch „technische Nachbesserungen“ kann sich Matschie vorstellen. Aber auch er glaubt nicht an einen absoluten Schutz: „Wir können keine Betondecke über die Bundesrepublik ziehen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen