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Milzbrand aus Iowa ging auf Weltreise

Lange verschickten US-Forscher Erreger. Umso stärker nun Biowaffen-Angst und Prophylaxe. Neuer Fall in New York

WASHINGTON taz ■ Stephanie Dailey wird wohl bald genesen. Ihr gehe es gut, sagte die 36-Jährige. Sie vertraut der Prognose der Ärzte, wonach Antibiotika die Milzbranderreger in ihrem Körper bald ausgeschaltet haben werden. Dailey war die dritte Angestellte des Zeitungsverlags in Florida, bei der die Bakterien entdeckt worden waren. Doch im Gegensatz zum Todesopfer Robert Stevens hatten sie und ein weiterer Kollege Glück.

Das schmälert allerdings keineswegs die Furcht der Amerikaner vor Terror mit biologischen oder chemischen Waffen. Das Bayer-Antibiotikum Ciprobay ist schon lange ausverkauft, ebenso wie Gasmasken. Besorgte Zuschauer rufen bei Fernsehsendern an und wollen wissen, ob sie vor ihrem Trinkwasser Angst haben müssen. Nicht gerade beruhigend ist, dass es ein Rätsel bleibt, wie die Milzbrandsporen in das Verlagsgebäude der Kleinstadt Boca Raton kamen. Damit nicht genug. Gestern Nachmittag meldete der US-Sender NBC News, dass einer ihrer Mitarbeiter ebenfalls an Milzbrand erkrankt sei. Dies ist der erste Fall, der in den USA außerhalb Floridas gemeldet wurde. Das FBI nahm die Ermittlungen auf.

Nach vorläufigen Erkenntnissen der Polizei stammen die in dem Gebäude gefundenen Erreger aus einem Labor in Iowa, wo sie in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts aus einer toten Kuh isoliert wurden. Da sie sich gut für Forschungszwecke eigneten, war die Nachfrage anderer Labors stark. So wurde diese Milzbrand-Variante über die USA aber auch weltweit verbreitet.

Noch vor wenigen Jahren war die Angst, dass Milzbranderreger in falsche Hände gelangen könnten, in den USA offenbar nicht besonders groß. Erst 1997 wurde auf Druck von Biowaffenexperten die Weiterverbreitung gestoppt. „Vorher war es nicht schwierig, Bakterienkulturen zu erhalten“, sagt Mary Gilchrist, Spezialistin für biologische Waffen an der University of Iowa. Sie berichtet, dass Leute versucht hätten, sich mit gefälschten Briefköpfen als Wissenschaftler auszugeben, um Milzbranderreger zu kaufen. US-Behörden hätten genehmigt, dass Bakterien per Post an jeden versandt werden durften, der behauptete, Forscher zu sein. So seien die Substanzen rund um den Globus verschickt worden. Umso größter ist nun die Angst – und eine ganze Branche profitiert: die Biotechnologie. Der Verband Biotechnolgy Industry Organization (BIO) rechnet mit deutlich steigenden Staatsausgaben für die Forschung. Hunderte Firmen forschen daran, wie man sich vor biologischen Kampfstoffen schützen kann. Das kalifornische Unternehmen Gene Soft arbeitet an einem Antibiotikum. „Wir haben neuartige Moleküle, die die Gene der Erreger so verändern, dass sie sterben oder sich zumindest nicht mehr vermehren“, erklärt Vorstandschef David Singer. Das Verteidigungsministerium fördert das Projekt.

Als ebenfalls aussichtsreich gelten die Projekte von Elusys aus New Jersey. Ihre Forschung basiere auf Antikörpern, die wie ein doppelseitiges Klebeband toxische Substanzen an rote Blutkörperchen heften, erläutert Firmenchef Stephen Sudovar. So könnten in wenigen Stunden Gifte und Erreger aus dem Blutkreislauf entfernt werden.

Jedoch: Zurzeit ist das Land nur eingeschränkt auf den Ernstfall vorbereitet. Zwar schuf das Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention vor zwei Jahren ein Netzwerk von 50 Speziallabors, von denen Infizierte in 24 Stunden Resultate über ihr Krankheitsbild erhalten. Michael Moodie, Chef des Chemical and Biological Arms Institute, warnt: „Die mehr als 40 US-Behörden, die mit der Abwehr von Bioterrorismus beschäftigt sind, haben noch nie zusammen an einem Tisch gesessen.“

Dennoch: 1,4 Milliarden Dollar will die Regierung an Gesundheitsbehörden und Bundesstaaten überweisen, um die Prävention zu forcieren. Und für den Großraum Washington wurde nach dem 11. September eine „Bioterrorism Task Force“ gebildet, der auch Präsident Bush angehört. MICHAEL STRECK

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