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Lektüre mit der Fernbedienung

Zur Frankfurter Buchmesse häufen sich alljährlich die literarischen Beiträge im Fernsehen – sollte man meinen. RTL erklärt sich für „nicht zuständig“, Sat.1 quetschte das Spektakel ins Frühstücksfernsehen – nur ARD und ZDF bemühten sich um Leser

von GITTA DÜPERTHAL

Man frage bei der Pressestelle von Sat.1 oder RTL an, in welchen Magazinen die Frankfurter Buchmesse auf dem Programm steht – das Ergebnis verblüfft. Bei Sat.1 findet man diese Anfrage offenbar derart außergewöhnlich, dass prompt die Bitte erfolgt, sie doch schriftlich zu formulieren. Bei RTL schwankt man zwischen Ratlosigkeit und dem Leugnen jeder Zuständigkeit. Im Boulevardmagazin „Blitz“ (Sat.1) jedenfalls setzte Caroline Beil, ausgestattet von Estee Lauder, andere Schwerpunkte. Die Bücherwelt ist offensichtlich nicht telegen genug.

Doch wer suchet, der findet. Das Sat.1-Frühstücksfernsehen zeigt, gesponsert von der Verlagsgruppe Random House, Buchtipps von der Frankfurter Buchmesse. Natürlich kann ein für kommerzielles Fernsehen derart ungeeignetes Ereignis nicht ohne Vorwarnung stattfinden. Deshalb stellen die Moderatoren Jessica Winter und Andreas Franke die Buchmesse als Veranstaltung der Superlative vor: „Und jetzt halten sie sich fest: Mehr als 400.000 Bücher, nur auf dieser Frankfurter Buchmesse jetzt neu“. Und Sat.1 hat sie für uns gelesen.

Es folgt der Buchtipp. Rolf Silbers Unterhaltungsroman „Das Leben tobt“ ist Thema. Man erfährt, dass ein lebensmüder Bestattungsunternehmer mit einem Leichenwagen durch „die Verbrechermetropole Frankfurt“ jagt. Das Eingeständnis Rolf Silbers, schon als Kind gern Löcher in den Rasen gesprengt zu haben, dass „so ein kleiner Knalleffekt“ ihm also durchaus liege, ist prompt mit einer Explosion bebildert. Warum man das Buch lesen soll, ist nicht zu erfahren.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hingegen hat die sonst eher vernachlässigte Literatur jetzt offenbar exklusiv für sich entdeckt. Die Sendung „Literatur im Foyer extra“ tingelt als Wiederholung durch die dritten Programme und 3Sat. Moderator Martin Lüdke stellt uns „eine Reihe von wirklich prominenten“ Gästen vor. Er und seine Kollegin Naomi Naegele meistern eloquent die Schwierigkeit, diesen selbst zu Büchern, die sie mitunter gar nicht gelesen haben, maßgebliche Kommentare zu entlocken, was durchaus Unterhaltungswert hat. So konstatiert etwa der Schriftsteller Harry Mulisch erfrischend ironisch, das Buch „Hitlers Geheimnis“ („War Hitler schwul?“) zwar nicht zu kennen – „aber eigentlich bin ich dagegen“. Bemerkenswert auch, wie Hanser-Verlagschef Michael Krüger die Bitte der Moderatoren toppt, in einem einzigen Satz zu erläutern, was die Buchpreisbindung für den Handel bedeutet. Ein Wort tut es auch: „Überleben“.

Mitunter muss Moderator Lüdke leichten Spott verkraften. Als er etwa stockend zu einer anspruchsvollen Frage ansetzt („Ich habe Jugenderinnerungen. . .“), tut Hanser-Chef Krüger interessiert und nutzt die Pause: „Ach, Sie auch?“. Da braucht es keine Claqueure mehr. Und wenn Sven Regener aus seinem Buch „Herr Lehmann“ liest, wird es erst richtig spannend. Naomi Naegele will wissen, ob Regeners Romanfigur Lehmann nicht nur ein „cooler Klemmi“ sei. Der Schriftsteller kontert, das seien wir doch irgendwie alle – Nachdenken ist angesagt. Als Lüdke am Ende Regener widerwillig zugesteht, dass betrunkene Hunde in Romanen Polizisten auch ruhig einmal beißen dürften und bereit ist, das Krimi-Genre als Literaturgattung anzuerkennen, wissen wir, wo es lang geht. Ach, wär es doch schon nächstes Jahr, und die Literaten strömten wieder aus ihren stillen Kämmerlein ins Fernsehen. Warum braucht es eigentlich stets zum Anlass die Buchmesse? An Reich-Ranickis eitlen Kritikerposen im „Literarischen Quartett“ haben wir uns längst satt gesehen.

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