: Augen geradeaus
DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH
Der Urheber dieses Beitrages steht unter dringendem Tatverdacht:– Totschlag (Neil Postman : „Wir amüsieren uns zu Tode“)– Terrorismus (Paul Virilio: „Anschläge von New York ohne Fernsehen so nicht möglich gewesen“)– Volksverhetzung (Angela Merkel: „Wickert muss abgelöst werden“)– und schließlich Desinformation, Kriegshetze, Lügen- und Gräuelpropaganda (und jetzt alle).
Und was ihr alle sonst noch könnt, ist: mich mal. Ihr versammelten Schlau-, Drücke- und Enzensberger, ihr Besserwisser und Schlechtergucker. Ihr vornehmen Bilderfresser – hinterher reicht ihr euch die theorieförmige Reiherfeder und kotzt uns in Büro und Schneideraum, dass es Klumpen hagelt: „Die Macht der Medien“ – „Der Medienkrieg“ – „Die Quotengräber“ und so weiter und so doof.
Also das gleich mal vorweg: Bei den Anschlägen auf das World Trade Center hätte man sofort insertieren können „Nach einer Vorlage vom lieben Gott himself, siehe auch: Turmbau zu Babel“. Die Idee stammt nachweislich aus der Vor-Fernseh-Ära. Al-Dschasira sendet Bin-Laden-Hüter so unzensiert wie CNN Bush-Ansprachen. Wer das eine will, muss beim anderen die Schnauze halten.
Die taz hat vorgestern den Bin-Laden-Text im Wortlaut (unzensiert! ohne Warnhinweise!) gedruckt – die Talitaz? Das radikalislamistische Hetzblättchen? Die Computerspiel-Ästhetik der Bomberbilder aus Afghanistan ist die aus dem Kosovo-Krieg ist die aus dem Golf-Krieg ist überhaupt die, die hinterher auf vielen Podien wortreich angeprangert und folgenlos weichdiskutiert wird.
Kann es sein, dass wir zu eurer großen Freude und nachhaltigen Quotensteigerung noch vor vier Wochen die Badehose jenes Mannes diskutiert haben, der jetzt den Kriegseinsatz verantwortet? Wer außer Scharping selbst fand die Debatte damals eigentlich völlig überzogen und unnütz? Welche Geistesgröße hat sich damals schützend vor den Verteidigungsminister gestellt, um ihn für ganz offenbar wichtigere Debatten beanspruchen zu können?
Meister Enzensberger: findet, dass Fernsehen ein „Nullmedium“ sei, also eine Art Anrufbeantworter fürs Stammhirn – und damit sinn-, zweck- und folgenlos. Na, dann können wir ja munter weiter rumsenden – macht ja eh nix.
Kollege Sloterdijk – fasst alle Agenturmeldungen eines Tages zusammen als „50.000 Erregungsvorschläge“: Ob Kampfhund oder Kampfeinsatz – bei irgendeiner Meldung zuckt die Meute, letztlich ohne ethische Maßstäbe. Na prima! forschen forsch Daniel Dayan und Elihu Katz noch einen Schritt weiter: Solche künstlich geschaffenen „Media events“ seien die neue Weltreligion, schüfen und bekräftigten die gemeinsamen Traditionen, Werte, Normen.
Bei der Frage, welchen Gast wir heute Abend einladen, ist es natürlich ’ne Riesen-Hilfe, klar zu wissen:1. scheißegal2. auf jeden Fall: unethisch, und3. immerhin Mitarbeit an einer Weltreligion.
Da weiß man, was man hat. Vielleicht hilft uns das für Qualität im Fernsehen zuständige Grimme-Institut? Leiter Bernd Gäbler: „Was aber ist Qualität? Da halten wir es mit jenem obersten Bundesrichter in den USA, der, zur Definition von Pornografie befragt, einfach nur gesagt hat: ‚Wenn ich es sehe, weiß ich’s.‘ “
Rrrrrruhig, Brauner. Brrrr. Ist doch Pluralismus. Normiertes Fernsehen gab’s in der DDR, pro Parteitagsbericht eine Auszeichnung aus Meißner Porzellan. Am Ende hatten die Kollegen in Adlershof die Regale voll Ehrennippes, keine Jobs mehr und die Arschkarte: Das Westfernsehen, so der allgemeine Tenor, habe mit Blicken in Warenwelt, Reiseländer und Meinungsvielfalt die friedliche Revolution entscheidend befördert.
Eine andere Ruhmeslegende will, Nixon habe rachsüchtig geteufelt: „Amerika hat den Vietnam-Krieg im Fernsehen verloren!“ Der verhältnismäßig ungehinderte Blick auf Blut und Boden; die hurratötende Gewissheit: So wirkt Napalm auf Frauen und Kinder – das habe Amerikas Wehrbereitschaft niedergesendet. Immerhin, ein epochal korrupter US-Präsident glaubt an uns.
Und damit zurück ins Studio. Wo wir gerade sitzen und die frischen, quotenfördernd grünschimmernden Nachtsichtaufnahmen von Luftangriffen auf Kabul sichten. Senden? Bombenschacht-Videos sind innigstes Militärmaterial. Nicht senden? Eine Unterschlagung – es ist doch wahr, was man da sieht. Kommentiert senden? Bevormundung. Zusammenschneiden mit Opferbildern? Die gibt’s nur nach Taliban-Zensur. Also: Senden mit Insert „Armee-zensiertes Material“, dran Bodenbilder mit Insert „Taliban-zensiertes Material“, dazu wichtig: Kampf gegen die Wucht der Bilder; also O-Ton Korrespondent über Nachrichtenbeschaffung und ihre Grenzen.
Prima. Dann haben wir also aus 20 Sekunden Neumaterial ein 1min30-Stück machen müssen, um sorgfältig zu sein. Übrigens 1’30 zu viel, wie uns jeder hergelaufene Globalisierungsgegner messerscharf nachweisen kann: „Ja, ja. 1’30 für diesen Scheißkrieg habt ihr, aber wieder keine Sekunde zu den Ursachen!“ Seit den Anschlägen in den Vereinigten Staaten wird viel und plausibel darüber diskutiert, welche Versäumnisse, auch in den Medien, zuvor dazu geführt haben.
Und Lachband im Elfenbeinturm. Sind sie nicht süß, diese TV-Karnickel, wie sie nass geschwitzt hetzend spielen: „Es recht zu machen jedermann – ist eine Kunst, die keiner kann“? Und wie ernst sie sich nehmen! Tja. Das wäre meine Bitte: Nehmt uns ernst, auch wenn’s schwer fällt. Anschließend einen leckeren Aufsatz über die vielen Flüchtigkeitsfehler zu schreiben – kann ich auch. Verächtlich über das Fernsehen herzuziehen, bis man endlich ’ne eigene Show bekommt – geschenkt. Macht das in ruhigeren Zeiten.
So unterschiedlich die Ansätze und Theorien klingen mögen: TV verblödet oder einigt, hetzt oder beruhigt; mordet mit und schafft Frieden – es sind leider: Obduktionsergebnisse. Fernsehen hat stattgefunden, und nun gucken wir mal, wer nachträglich die tollste Theorie drauf backt. Das enthält wenig Empirie und als steten Nenner: null Handreichung für die Praxis, für die Zukunft. Hufeisenplan, ausgebrannte Zivilbusse, Bombardierung der chinesischen Botschaft, KZ-Vergleiche und Hitlerbeschwörung: Das allein wäre reichlich Lernstoff aus dem Kosovo-Krieg gewesen. Könntet ihr vielleicht mal vorher etwas Konkretes fordern? Die Fernsehschaffenden mal anders betrachten denn als wohlfeile Opfer, die für ihren Platz an der Sonne auch ruhig mal drüber bekommen können? So, Euer Ehren – das war’s. Mein Anwalt guckt gerade CNN, deshalb musste ich selbst sprechen. „Nulla poena sine lege“ haben wir damals gelernt: keine Strafe ohne Gesetz. Ich beantrage also meine Einstufung als Mitläufer, wir haben ja damals vieles gar nicht gewusst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen