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SCHILYS ANTI-TERROR-PAKET TRIFFT AUCH DIE „UNBESCHOLTENEN BÜRGER“Innere Verunsicherung

„Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ So lautet der Standardspruch des so genannten unbescholtenen Bürgers zum Thema innere Sicherheit. Das Anti-Terror-Paket II, das erweiterte Datenerfassung aller Art vorsieht, dürfe ihn gar nicht schrecken, den redlichen Menschen.

Er wird sich noch umgucken. Denn wer oder was ein unbescholtener Bürger ist, entscheidet nicht der eigene moralische Dünkel, sondern der Staat. Ganz abgesehen davon, ob nun Augenabstand und Nasenlänge auf dem Personalausweis erfasst werden oder nicht, hat die Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen an allen inneren Fronten schon jetzt Folgen, die ahnen lassen, was da noch kommt. Allein der Umstand, dass neuerdings an jeder Ecke ein Polizeiwagen steht, hat bereits die empfindliche Balance gestört zwischen dem, was gesetzlich gestattet und dem, was im allgemeinen Empfinden als zulässig gilt. Niemand verhält sich den ganzen Tag legal. Der redliche Bürger, der heute noch dachte, man könne den Wagen mal eben mit Warnblinker in der zweiten Reihe stehen lassen, wird morgen schon qua Bußgeld eines Besseren belehrt werden.

Toleranz, Verständnis für abweichendes Verhalten, Solidarität, all solche schönen und klugen Dinge werden gerade da gelebt, wo vom Pfad der Paragraphentugend abgewichen wird. Es gehört zur Selbstverantwortung und moralischen Souveränität, nicht in jeder Situation auf die Verordnungslage zu pochen, sondern auf die meistens einfacheren Regeln menschlichen Miteinanders zu vertrauen. Das gilt für die freundliche Beamtin im Einwohnermeldeamt, die darüber hinwegsieht, dasss man sich nicht innerhalb der – guter Witz! – vorgeschriebenen 14 Tage angemeldet hat, ebenso wie für den Kontroletti, der nur die halbe Schwarzfahrergebühr kassiert, weil es eben Umstände gibt, in denen Schwarzfahren selbst für ihn entschuldbar ist. Nicht zu erwähnen den Polizisten, der „übersieht“, dass man ohne Licht radelt, oder das Bauprüfamt, dem der Schrebergartenerweiterungsbau schon längst hätte auffallen können.

Von der Ausweitung staatlicher und halbstaatlicher Kontrolle in allen Lebensbereichen sind mitnichten nur diejenigen betroffen, die illegalisierte Flüchtlinge verstecken, die ihr Demonstrationsrecht zu Castor-Terminen spielerisch ausdehnen oder eben all das tun, wofür die Mehrheit ohnehin kein Verständnis, keine Lust und keine Zeit hat. Es geht darum, dass jede Öffentlichkeit auch ihre Nischen braucht, dass jeder schon einmal auf augenblinzelndes Einverständnis eines Beamten angewiesen war, dass niemand in einer Stadt leben will, in der die halbe Bevölkerung plötzlich ihr Talent zum Hilfssheriff entdeckt. In dem veränderten gesellschaftlichen Klima werden auch die weniger Wetterfühligen frösteln. ULRIKE WINKELMANN

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