: Gemeinsam verantwortlich
Im Kampf gegen den Terror akzeptieren die USA neuerdings die Interessen anderer Länder. Das müssen sie nun auch beim Klimaschutz und der Armutsbekämpfung tun
Als die Bonner Weltklimakonferenz vor drei Monaten mit einem leidlich akzeptablen Ergebnis zu Ende ging, geriet Bagher Asadi, iranischer UN- Botschafter und Chefunterhändler der Entwicklungsländer, beinahe ins Schwärmen: Der Bonner Gipfel sei ein „Triumph des Multilateralismus über den Unilateralismus“. Unter der Führung Europas habe man der Welt gezeigt, dass es „unakzeptabel und schädlich“ sei, „mit einseitigen nationalen Interessen einen vielschichtigen, multilateralen Prozess anzugehen“. Und EU-Kommissarin Margot Wallström sekundierte, hier sei ein Sieg der ökologischen Vernunft über den Egoismus der Gegenwart anzuzeigen.
Allen war klar: Die verschlüsselten Worte galten Amerika, dem Giganten unter den Klimasündern und Boykotteur des Kioto-Protokolls – jenem Land eben, so die gängige Deutung, das seinen Way of Life für sakrosankt, seine Sicht der Dinge für unumstößlich hält. Das Bekenntnis der US-amerikanischen Delegationsleiterin zur globalen Verantwortung ihres Landes erntete im Bonner Abschlussplenum Hohngelächter und Pfiffe – ein wohl einmaliger Vorgang bei einer Veranstaltung der Vereinten Nationen.
Im Nachgang zum Klimagipfel war häufig die Interpretation zu hören, das „Nein zu Kioto“ reihe sich in eine generelle US-Tendenz zu Isolationismus und Unilateralismus ein. Und wahrlich, es ist nicht schwer, Belege für diese These zu finden: Ob beim Teststopp für Atomwaffen, der Ächtung von Biowaffen und Landminen, der Kontrolle des Handels mit gentechnisch veränderten Organismen oder der Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs, stets fanden sich die Vereinigten Staaten auf Seiten derer, die gegen strikte Regeln votierten und nicht mitmachten – meist aus nationalem Interesse oder geopolitischen Erwägungen. Auch die Nichtüberweisung zugesagter Finanzmittel an die Vereinten Nationen, das faktische Aufgeben Afrikas, in Washington zuletzt nur noch als „lost continent“ gehandelt, oder der Verzicht auf eine aktive Vermittlerrolle im Nahen Osten galten bis vor kurzem als starke Indizien für eine Abkehr Amerikas vom Rest der Welt und seinen Problemen.
Vor diesem Hintergrund hält die Reaktion der US-Regierung auf die Terroranschläge des 11. September eine Reihe von Überraschungen parat: Sie war trotz der unglaublichen Verletzung nicht impulsiv, sondern überlegt, nicht isolationistisch, sondern integrativ, nicht unilateral, sondern multilateral. Vor allem aber war sie nicht chauvinistisch, sondern um die Einbeziehung Russlands und Chinas sowie der Entwicklungsländer Nordafrikas und Asiens bemüht. Auch die Anrufung des Weltsicherheitsrats und die Teilbegleichung der Schulden bei den Vereinten Nationen lassen sich als Signale für einen verstärkten Koordinationswillen der USA deuten.
Aus einer globalen Nachhaltigkeitsperspektive interessiert vor allem eine Frage: Sind die neuen multilateralen Ansätze, die sich jetzt bei der Terrorismusbekämpfung vorsichtig andeuten, dauerhaft und auch auf internationale Politikfelder übertragbar – wie etwa bei der Armutsbekämpfung, der Konfliktprävention oder eben dem Klimaschutz?
Auf diese Frage kann heute niemand endgültige Antworten geben. Zu sehr sind die Entwicklungen im Fluss. Und zu sehr tobt in der außenpolitischen Elite Amerikas noch der Kampf zwischen „America First“-Hardlinern und denjenigen, die ihr Land einbetten wollen. Aber es lassen sich doch erste Tendenzen erkennen:
In den USA wächst die Einsicht, dass weltweite Probleme auch international beantwortet werden müssen. Die Erfahrung der eigenen Verwundbarkeit gegenüber dem globalisierten und gesichtslosen Terror ist in diesem Sinne eine Elementarerfahrung.
Da die Amerikaner Pragmatiker aus Überzeugung sind, wird ihre zukünftige Einstellung zum Multilateralismus, zur gemeinsamen Bearbeitung von Weltproblemen, auch davon abhängen, ob die jetzige Allianz sich als stabil und erfolgreich erweist oder beim geringsten Gegenwind zerfällt.
Für Europa und ganz besonders für Deutschland gilt deshalb: Wer die kooperationswilligen Kräfte in den Vereinigten Staaten stärken will, kann beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht auf der Zuschauertribüne Platz nehmen und sich dann darauf beschränken, schlechte Haltungsnoten zu vergeben. Damit begäbe man sich jeder Möglichkeit, auf die Geschehnisse Einfluss zu nehmen – und das nicht nur gegenwärtig, sondern auch in der Zukunft.
Was wir derzeit in der Außenpolitik der USA erleben, ist (noch) kein wirklicher Multilateralismus, sondern ein „unilateral multilateralism“, ein aus nationalen Sicherheitsinteressen gespeister Internationalismus. Man verspricht sich Vorteile vom abgestimmten Vorgehen, wobei einstweilen klar ist: Andere Nationen sollen die Problemwahrnehmungen und Lösungsvorschläge der Vereinigten Staaten übernehmen. Da, wo internationale Arrangements Abstriche an nationalen Interessen erfordern, wird man sich auch in Zukunft auf amerikanische Vorbehalte einstellen müssen.
Uns Europäern mag ein solch nüchterner „Multilateralismus à la carte“ egoistisch vorkommen. Wir mögen es lieber idealistisch nach dem Motto „Gemeinsame Verantwortung für die Menschheit und die Zukunft übernehmen“. Besser wäre es hingegen, wir würden unsere Argumente für internationale Ordnungsstrukturen materiell unterfüttern und sie auch in die Sprache der Interessenpolitik übersetzen, eine Sprache, die jenseits des Atlantiks verstanden wird:
Ein Verbot biologischer Waffen ist vor dem Hintergrund des Terrorismus notwendiger denn je. Ein internationaler Strafgerichtshof wäre gerade jetzt hilfreich, um die Massenmörder aller Couleur einer gerechten Strafe zuzuführen. Mehr Entwicklungshilfe, Schuldenerlass und faire Weltwirtschaftsbeziehungen können den Ärmsten der Armen eine Perspektive geben und sie gegen die Verheißungen der religiösen Eiferer immunisieren. Klimaschutz ist die beste Versicherung gegen Erdölabhängigkeit, ökologische Katastrophen und umweltbedingte Migrationsströme.
Diese Themen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit Macht auf die internationale Tagesordnung drängen – und zwar im Gewande eines erweiterten Sicherheitsbegriffs. Noch ist nicht klar, ob der notwendige Kampf gegen den Terror zur Geburtsstunde eines neuen Multilateralismus wird oder den Blick auf die eigentlichen Menschheitsprobleme eher verstellt. Jedenfalls kann man nur vor einer Rhetorik warnen, für die es keine Themen gibt, die bereits vor dem 11. September 2001 relevant waren. Die Weltkonferenz über nachhaltige Entwicklung im September 2002 in Johannesburg wird Industrie- und Entwicklungsländern die Chance bieten, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln. Wir sollten sie nutzen.
REINHARD LOSKE
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