piwik no script img

Suche nach „gemäßigten Taliban“

Pakistan präsentiert den antiwestlichen Taliban-Kommandeur Haqqani als „moderat“. Dahinter stecken handfeste Machtinteressen für die Zukunft

von BERNARD IMHASLY

In Washington führt man den Krieg Gut gegen Böse. Doch je näher man dem Schlachtfeld kommt, desto mehr drohen die Fronten zu verwischen. Zwar ist die Eliminierung der Taliban-Führung heute neben al-Qaida das wichtigste Kriegsziel der „Allianz gegen den Terror“. Das hindert den Allianzpartner Pakistan allerdings nicht daran, Jalaluddin Haqqani, den Kommandanten der Taliban-Armee und bevollmächtigten Minister für Stammesfragen, in Islamabad zu „Konsultationen“ zu empfangen. Statt ihn verhaften zu lassen, preist ihn der Sprecher des pakistanischen Außenministeriums als Helden im Kampf gegen die Kommunisten, der wesentlich „zum endgültigen Kollaps der Sowjetunion und zur Befreiung Zentralasiens beigetragen hat“.

Die bizarre Szene gibt einen Einblick in das verworrene Spiel der Vielzahl von Figuren und Gruppen, die sich bei der Suche nach einer künftigen Lösung in Afghanistan in den Weg kommen. Sie zeigt auch die verzweifelten Anstrengungen der pakistanischen Regierung, in einem künftigen politischen Arrangement in Afghanistan ihre Interessen einzubringen. Da sie in den vergangenen Jahren alles auf die Karte der Islamschüler gesetzt hat, muss sie nun versuchen, unter ihnen „gemäßigte Taliban“ ausfindig zu machen.

Für Taliban-Gegner wie Indien, Russland, den Iran und die Nord-Allianz ist schon der Begriff „gemäßigte Taliban“ ein Widerspruch – Indiens Außenminister nennt ihn ein Oxymoron, und auch sein deutscher Amtskollege scheint deren Existenz zu bezweifeln. Doch für Pakistans Präsident Muscharraf gibt es „viele gemäßigte Taliban“, die in einer Gesamtlösung selbstverständlich berücksichtigt werden müssten. Er zwingt damit die USA, ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen: Bei seinem Besuch in Islamabad wand sich Colin Powell heraus, als er von der Taliban-Führung sprach, die es zu eliminieren gelte, die Tür für „verantwortungsbewusste Elemente“ jedoch offen ließ.

So kommt es, dass der Taliban-Feldherr in Islamabad mit allen Ehren empfangen wird, während sich amerikanische Kommando-Einheiten in der afghanischen Nacht vortasten und nach Taliban-Führern Ausschau halten. Gemäß pakistanischer Lesart ist Haqqani nämlich gar kein Taliban, sondern ein unabhängiger Kommandant. Das stimmt insofern, als er 1996 die zerstrittene Mudschaheddin-Regierung verließ und seine Milizen in den Dienst der Taliban stellte. Er wurde zu ihrem wichtigsten Alliierten im Kampf gegen die Nordallianz, integrierte seine Truppen aber nicht in jene der Islamschüler und behielt seine Machtbasis in den Provinzen Paktia und Paktika an der Grenze zu Pakistan. Er konnte sich das erlauben, weil er als Vertrauensmann des pakistanischen Geheimdienstes ISI gilt, für den er um die Stadt Khost eine Reihe von Trainingscamps für militante Kaschmir-Gruppen einrichtete. Es ist wahrscheinlich, dass auch Ussama Bin Laden seinen Schutz genossen hat, waren es doch dessen Ausbildungslager in Khost, die 1998 von amerikanischen Marschflugkörpern zerstört wurden. Der kürzliche Entscheid von Mullah Omar, Haqqani den Oberbefehl der Taliban-Streitmacht zu übertragen, wird in Islamabad als Schachzug gesehen, ihn noch stärker an sich zu binden.

Das Auftauchen Haqqanis in Islamabad mag nun ein pakistanischer Gegenzug sein. Und dass die Amerikaner Khost diesmal bisher verschonen, wird auf das Drängen Muscharrafs zurückgeführt, der den USA Haqqani als möglichen Überläufer ans Herz legen will. Doch Haqqani lässt sich nicht einfach vereinnahmen. Im gleichen Atemzug, in dem ihn die Regierung als Mudschaheddin-Helden feierte, gab er der Tageszeitung The News im Haus seines Freundes Sami ul-Haq bei Peschawar ein Interview. Statt sich als Vermittler zu positionieren, feuerte er aus allen Rohren auf die Amerikaner, die er als „Komfort-Kreaturen“ verhöhnte, deren Ankunft er sehnlichst erwarte. „Selbst wenn sie die Städte einnehmen und eine Regierung installieren, werden wir uns in die Berge zurückziehen und in einem langen Guerillakrieg unser Land von den Ungläubigen befreien“. Auch eine „breit abgestützte Regierung“ lehne er ab, da diese „säkular“ wäre. Kein Taliban werde sich einer Regierung aus russischen, amerikanischen und indischen Marionetten anschließen. Und als ginge er bei Ussama Bin Laden ein und aus, schloss er: „Ich kann Euch versichern, dass Ussama nicht nur gesund und sicher ist, er ist auch guter Laune.“

Somit muss Pakistan die Suche nach „gemäßigten Taliban“ weiter führen. Denn neben Haqqani hat sich auch die Versuchsrakete Wakil Muttawakil, der Taliban-Außenminister, als Rohrkrepierer erwiesen. Weitere Kandidaten wie die Minister Abdul Kabir und Amir Khan Muttaqi äußern sich gegenwärtig mit großer Vehemenz gegen die USA. Islamabad ist daher gezwungen, seine Türen auch für Taliban-Gegner zu öffnen. Es setzt dabei auf das latente Misstrauen zwischen dem Ex-König und der Nordallianz. Letzte Woche flog Syed Ahmed Gilani, der Führer einer gemäßigt islamischen Partei aus der alten Mudschaheddin-Koalition der Achtziger Jahre, mit Pakistans Zustimmung nach Rom. Gilani sagte nach seinem Treffen mit dem afghanischen Ex-König Sahir Schah, man habe „volle Übereinkunft erreicht. Es war immer unser Ziel, gemäßigte Taliban in die künftige Regierung einzubeziehen, und der König teilt unsere Meinung.“

Das für das letzte Wochenende vorgesehene Treffen aller Nicht-Taliban-Gruppen in Peschawar musste auf Mittwoch verschoben werden. Offiziell sollte Gilani damit Zeit gegeben werden, sich daran zu beteiligen. Inoffiziell hört man, mit der Verschiebung wolle man das Ausbrechen wachsender Meinungsverschiedenheiten verhindern. Die weltweite „Allianz gegen den Terror“ ist nicht die einzige, die sich mit einem Spaltpilz namens „gemäßigte Taliban“ herumschlagen muss – auch wenn es ihn gar nicht gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen